Veröffentichungen von Urmila Goel

„Es geht um Rassismus“

erschienen in: Meine Welt, Heft 1, Jahrgang 29, 2012, S. 35-36.

In ihrer Rede beim Integrationsgipfel sagt Sheila Mysorekar: „Wir wollen, dass die Medien die Dinge beim Namen nennen: Nicht ‚Fremdenfeindlichkeit‘ schreiben oder ‚Ausländerfeindlichkeit‘ – wir sind ja keine Ausländer, sondern Deutsche, und fremd sind wir schon gar nicht. Das heißt, es geht um Rassismus, nicht um Konflikte zwischen ach so fremden Kulturen.“

Auch die geringe Präsenz von jenen, die zurzeit als ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ (MmM) bezeichnet werden, in den Medien hängt mit Rassismus zusammen. Sie ist nicht (notwendigerweise) das Ergebnis bewussten rassistischen Handelns Einzelner sondern der rassistischen Struktur unserer Gesellschaft. Dabei beziehe ich mich auf den Rassismusbegriff der kritischen Rassismusforschung, die in Deutschland unter anderem von Paul Mecheril geprägt wurde.

In diesem Verständnis ist Rassismus etwas, das unsere ganze Gesellschaft, ihre Institutionen und Wissensproduktionen prägt. Rassismus ist dabei, erstens, gekennzeichnet durch die (willkürliche) Unterscheidung von Menschen in ‚Wir‘ und die ‚Anderen‘, wobei die ‚Anderen‘ als nicht zugehörig, als woanders herstammend und hier fremd seiend definiert werden. Mysorekar oder ich können uns so ‚deutsch‘ fühlen wie wir wollen: da wir nach der rassistischen Unterscheidungslogik (mit Bezug auf unser Aussehen, unsere Namen oder die vermutete Herkunft unserer Eltern) in die Rubrik der ‚Anderen‘ gehören, sind wir die ‚Anderen‘ und können das auch nicht ändern. Wir können höchstens zu guten ‚Anderen‘ werden, die sich brav an die Regeln halten und die Unterscheidungslogik nicht grundsätzlich in Frage stellen.

Diese Unterscheidungslogik ist aber nicht unschuldig, denn, zweitens, geht sie im Rassismus damit einher, dass die ‚Anderen‘ als eine Gruppe mit besonderen Eigenschaften und Mentalitäten hergestellt werden. Die einzelne Person wird nicht einfach nur eine ‚Andere‘ sondern wird als Teil der Gruppe der ‚Anderen‘ dargestellt, ihr wird unterstellt, dass sie sich wie alle diese ‚Anderen‘ verhält und nicht wirklich individuell handeln kann. So wird diesen ‚Anderen‘, zum Beispiel, pauschal unterstellt kein Deutsch zu können, schlechter gebildet zu sein, Frauen zu unterdrücken, etc. Im spezifischen Fall der als ‚Inder/ Inderinnen‘ konstruierten ‚Anderen‘ in Deutschland wird diesen zwar durchaus Bildungsorientierung zugeschrieben, aber auch ein Computer-Gen, kulturelle Rückschrittlichkeit und Frauenunterdrückung.

Denn die Unterscheidungspraxis geht im Rassismus, drittens, mit einer Abwertung der ‚Anderen‘ und einer Aufwertung des ‚Wir‘ einher. ‚Wir‘ werden als fortschrittlicher, gebildeter, wertvoller als die ‚Anderen‘ dargestellt. Wobei den ‚Anderen‘ durchaus Eigenschaften zugeschrieben werden, die ‚Wir‘ gerne hätten, wonach ‚Wir‘ eine Sehnsucht haben, so z.B. gute Tänzer/ Tänzerinnen zu sein oder gute Liebhaber/ Liebhaberinnen. Diese Zuschreibungen fixieren die ‚Anderen‘ aber als ‚Andere‘ und ‚Wir‘ behalten ‚unsere‘ generelle Überlegenheit bei.

Die Allgegenwärtigkeit von Rassismus liegt, viertens, darin begründet, dass es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, diese Unterscheidungslogik und die damit verbundene Ausgrenzungspraxis als normal anzusehen und sie gesellschaftlich durchzusetzen. Es braucht keine Diktatorin, die Rassismus befiehlt, und auch nicht das bewusste individuelle rassistische Handeln. Rassismus steckt in unserem Wissen, dass es für völlig normal hält, dass wir zwischen Deutschen und MmM (bzw. anderen Bezeichnungen für die ‚Anderen‘) unterscheiden. Das bestimmt, dass es klar ist, dass Mysorekar und ich eben nicht Deutsche sind, wir uns damit abfinden müssen und uns auch über eine Behandlung als ‚Andere‘ nicht wundern müssen. Rassismus steckt auch in unseren Gesetzen, in unseren Bildungseinrichtungen und unseren Medien.

Unter anderem durch die rassistische Normalität in Deutschland schneiden viele MmM schlechter in der Schule ab, schlagen weniger eine Universitätslaufbahn ein, denken weniger daran in die Medien zu gehen und werden seltener als Journalisten/ Journalistinnen eingestellt. Um das zu ändern, muss die ganze Gesellschaft geändert werden - und dafür müssen wir Rassismus beim Namen nennen – nicht nur in den Medien.

Literaturhinweis: Paul Mecheril et al. (2010), Migrationspädagogik, Weinheim: Beltz Verlag.

© Urmila Goel, urmila.de / rassismus 2012