Veröffentlichungen von Urmila Goel
erschienen in: Meine Welt, 22/1, 36-38 (Text als pdf)
Merle Kröger ist Filmemacherin, Autorin und Kuratorin und lebt in Berlin. Sie macht Dokumentarfilme und Videokunst seit 1991. Als Kuratorin hat sie für die 5. Internationale Werkleitz Biennale, das Internationale Dokumenarfilmfestival in Kassel und die Volksbühne Berlin gearbeitet. 2003 hat sie ihren ersten Krimi „Cut!“ veröffentlicht. Seit 2004 arbeitet sie als Filmemacherin und Kuratorin für das Projekt Import Export. |
„Abrupt knallen Stimmen und Musik an dein Ohr. Ein paar Leute kommen aus
dem Kino, mustern dich flüchtig im Vorübergehen, eine Gestalt in Jeans und
Turnschuhen, kurze Haare. Routinemäßig nimmst du das Aufflackern der Blicke
wahr, dieses unausgesprochene: „Woher kommst Du?“ Nicht unbedingt feindselig,
eher unangemessen. Wie oft hast du diese Frage schon gehört? Wenn du jemanden
kennen lernst, fällt sie in der ersten halben Stunde, worauf du wetten kannst.
Früher hast du geschwiegen, peinlich berührt, als hätte man dich nach der Farbe
deiner Unterhose gefragt. Später hast du gelernt, die Peinlichkeit
zurückzuspielen.
„Aus Hamburg, wieso?“ Jetzt sind es die anderen, die nach Worten graben. Sie
versuchen, die Falle der politischen Unkorrektheit zu umgehen, die du ihnen
stellst. Dabei hast du nur die Wahrheit gesagt.“
So lese ich auf Seite 16 von Merle Krögers Krimi „Cut!“ und ab hier frage ich
mich, wer Merle Kröger ist. Der Name ist ur-norddeutsch. Auch meine Recherche im
Internet ergibt erstmal nichts anderes. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass
eine blonde Norddeutsche diese Erfahrung der Hauptfigur Madita so schildern
kann. So etwas muss man doch erlebt haben, um es beschreiben zu können? Ich
lasse nicht locker, recherchiere weiter und irgendwann finde ich dann auf der
Webseite ihres Verlages doch noch meine Bestätigung:
„Merle Kröger, geb. 1967 in Plön/Schleswig-Holstein, hat ebenfalls [wie ihre
Hauptfigur, udg] norddeutsche Eltern und ein indisches Gesicht. „
Diese Frau möchte ich kennen lernen. Über eine gemeinsame Bekannte lässt sich
der Kontakt leicht herstellen. Wir verabreden uns an einem Dezemberabend 2003 in
Berlin, in Merles heimatlichem Kreuzberg. Das kleine italienische Restaurant
finde ich leicht, nur Merle sehe ich nicht. Dann fällt mir eine Frau auf, die
auch suchend um sich blickt. Es ist Merle, sie hat mich auch nicht erkannt. So
eindeutig indisch sehen wir also beide nicht aus.
Schnell merken wir, dass wir außer dem gar nicht so indischen Gesicht einige
andere Anknüpfungspunkte haben. Wir werden beide zur Teilnahme an einer
Talkrunde der Deutschen Welle "Zwischen Subkultur und Bundestag - Inder der
zweiten Generation in Deutschland" im September 2004 in die indische Botschaft
eingeladen. Merle liest aus „Cut!“. Gerade steckt Merle zusammen mit der
Filmemacherin und Journalistin Dorothee Wenner mitten in der Vorbereitung von
„Import Export“.
„Import Export
Wege des Kulturtransfers zwischen Indien und Deutschland, Österreich
Ein transdisziplinäres Forschungs- und Kulturprojekt der Werkleitz Gesellschaft
e.V. (Halle/ Saale), Haus der Kulturen der Welt (Berlin), Majlis (Mumbai) und
DeEgo (Wien).
In den entstehenden Netzwerken zwischen Indien und der EU entwickeln sich Berlin
und Wien neben London zu wahrnehmbaren Größen auf der Landkarte. Eine junge
Generation von Künstlern und Wissenschaftlern sucht den Dialog zwischen den
Metropolen des Nordens und des Südens. Es geht „Import Export“ einerseits darum,
komplexe Bilder eines multikulturellen Indien vorzustellen, von denen
Deutschland und Österreich als Teil des Vielvölkerstaates EU, jenseits modischer
Trends und historischer Phantasmen, heute mehr denn je lernen können. Auf der
anderen Seite gilt es, auch die Nebenschauplätze der postkolonialen Debatten
aufzusuchen und die lebendige Geschichte der Migration und Repräsentation in
Ländern wie Deutschland und Österreich sichtbar zu machen.
Das Ziel von „Import Export“ ist es, zwischen Indien und dem deutschsprachigen
Europa jene normalerweise unsichtbare Leinwand aufzuspannen, die von beiden
Seiten als Projektionsfläche gegenseitiger Wahrnehmung/ Selbstwahrnehmung
benutzt wird.
http://www.im-export.net/
Es entstehen laufend neue Projekte rund um Indien und InderInnen in Deutschland
– und viele davon sind verankert im Kreuzberger Wrangelkiez.
Irgendwann bekomme ich dann von „Meine Welt“ die Bitte, Merle zu interviewen. An
einem kalten Märzabend, ein gutes Jahr nachdem wir uns kennen gelernt haben,
schaffen wir es im verschneiten Berlin endlich einen gemeinsamen Termin zu
finden. Merle ist gerade dabei ihren eigenen Film für „Import Export“ fertig zu
stellen, in ein paar Tagen fliegt sie nach Indien, um mit einer indischen
Freundin in Madurai zu filmen und am ersten Symposium von „Import Export“ in
Bombay teilzunehmen.
Der Abend beginnt mit einer echt norddeutschen Gemüsesuppe nach einem Rezept von
Mutter Kröger. Dann packe ich mein Aufnahmegerät aus und frage nach der
Entstehungsgeschichte von Cut. Die lässt sich ganz einfach von der
Dokumentarfilmerin zusammenfassen:
„Ich wollte schon immer mal einen Krimi schreiben.“
Der Kriminalfall in „Cut!“ rankt sich um die indische Legion in der deutschen
Wehrmacht. Die Geschichte spielt aber überwiegend in der Gegenwart, in der sich
die Hauptfigur Madita mit ihrem Freund Nick auf die Suche nach ihrem indischen
Vater macht.
„Das Wehrmachtsthema kam mir unter ... Ich bin in Indien häufiger darauf
angesprochen worden, auf Netaji. Ich wusste nichts davon, und Sachen auf die
mich Leute ansprechen, von denen ich nichts weiß, interessieren mich. Geschichte
ist sowieso ein Steckenpferd von mir. Auf einmal tauchen da Sachen auf aus einer
anderen historischen Perspektive auf Sachen, die dir sehr bekannt sind, wie der
zweite Weltkrieg. Dann werde ich neugierig. Dann habe ich angefangen zu
recherchieren.
Die Idee war, die heutigen Verbindungen mit dem historischen Thema zu verbinden
und dem was dazwischen ist, also die Anziehung in den 60er, 70er Jahren, dieses
gegenseitige Projezieren. Auf einmal drehte sich das zusammen.
Ausschlaggebend war, die eigene Erfahrung nach Indien zu fahren, und zu erleben
wie fremd man sein kann. Und das es aber trotzdem was anderes ist, als was ich
noch im Kopf hatte, als die Klischees aus den 60ern und 70ern.
Das waren so viele Spuren, die man am besten in Fiktion zusammenführen kann,
besser als als Dokumentarfilm.“
Als ich „Cut!“ gelesen habe war für mich Madita die zentrale Figur. Sie hat das
indische Gesicht, sucht ihren Vater, reist nach Indien. Automatisch bin ich
davon ausgegangen, dass auch die Autorin Madita im Mittelpunkt sieht. Aber
wieder einmal überrascht mich Merle:
„Madita ist eine schwierige Figur. Nein, die hat eigentlich erst zum Schluss
ihre Konturen gekriegt. Madita war der innere Dialog mit einer Fantasiefreundin.
Als erstes war die beiden Jungs da, Nick und Cal, als Figuren. Die fand ich
immer interessant, weil die immer eine gemeinsame Ebene haben über das was sie
machen, über die Musik und die diesen ganzen Ballast von wegen indischer Wurzeln
oder deutscher Wurzeln so nicht haben. Die kommen daher wo sie herkommen und
nähern sich aneinander an und können auch ihre Faszination voll ausleben, ohne
irgendwie in ethische Probleme zu geraten. Nick ist am ehesten mein alter ego
mit seiner Naivität und Cal ist definitiv meine Lieblingsfigur.
Mittlerweile mag ich Madita. Am Anfang mochte ich sie überhaupt nicht, die
nervt. Nick hat das Direkte, weder hat er totale Erwartungen noch Barrieren, der
lässt sich total darauf ein. Mit einer Naivität die ich gerne hätte, aber nie
hatte.“
Aber auch wenn die Jungs Merles Lieblingsfiguren sind, hat Madita natürlich viel
mit ihr zu tun.
„Madita ist natürlich nicht total weit, ich kann mich nicht ganz von ihr
distanzieren. Wenn ich sage sie nervt, dann ist das was, was ich aus meiner
Geschichte kenne. Dieses ständige Changieren. Bestimmte Sachen möchte ich nicht
thematisieren. Andere werden dadurch thematisiert, wie Leute auf mich zutreten.
Das Kämpfen damit eine Identität zu finden, die frei ist von den Projektionen,
die man selber hat oder andere von einem haben, und sich damit einzurichten,
dieser Kampf von Madita - während des Buches kämpft die ja eigentlich darum, das
für sich zu finden - das ist ein Kampf der sicher auch parallel zum
Buchschreiben abgelaufen ist. Aber deswegen nervt es mich auch heute, weil ich
denke, ist doch gar nicht so schwierig, aber es war ja schwierig.“
Merle kann wie Madita nicht so unvoreingenommen auf Indien zugehen wie Nick.
„Ich möchte jetzt auf keinen Fall so einen Indientick kriegen, weil ich mir
das verbieten würde. Auf der anderen Seite darf ich auch nicht fasziniert sein
von indischen Filmen, weil das könnte man dann ja so auslegen wie: „Na ja das
ist auch klar, dass du die gut findest.““
Ich finde Merle sieht nicht besonders indisch aus, sonst hätte ich sie bei
unserem ersten Treffen auch schneller erkannt. Es scheint aber andere zu geben,
die das finden, und daher frage ich nach:
„In Norddeutschland ist das anders als in Berlin. Ich frage mich heute nach
dem ich länger in Berlin bin, warum hast du das eigentlich so problematisiert
als Kind oder Jugendliche, das ist doch eigentlich überhaupt kein Thema. Dann
habe ich mal ein Foto gesehen von - meine Freundin, die hat zwei Kinder in
Norddeutschland und die sind natürlich alle weißblond, und dann habe ich ein
Foto gesehen von diesen Kindern im Kindergarten und die sehen alle so aus. Dann
ist mir erst wieder eingefallen und das war ein totales Erlebnis, weil ich mich
plötzlich erinnert habe, was ich völlig verdrängt habe, dass ich wirklich früher
anders aussah, was ich heute gar nicht mehr tue.Ich habe das als Kind
wahrgenommen und total verdrängt, total komplett, weil meine Familie alles
verdrängt hat, ich mit verdrängt habe. Ich habe einfach ignoriert, weil ich
wirklich die einzige in der Familie, der er es so ging war. Ich hatte eine
deutsche Mama, einen deutschen Papa, eine deutsche Schwester, deutsche
Großeltern, richtig Großfamilie mit Stammbaum bis 1730. Wenn alle es verdrängen,
dann verdrängst du das auch, das ist das Schicksal von den, wie heißen die noch,
habe ich neulich im Spiegel gelesen, Kuckuckskindern.Irgendwann war dann der
Schritt, was soll dich daran hindern, die Geschichte zu thematisieren. Dann war
der nächste Schritt, ich gehe da mal selber dran. Ich will mal meine Meinung
dazu bilden, zu dieser ganzen Konstruktion: indischer Vater unbekannt, deutsche
Familie bekannt. Ich habe dann angefangen, dass sowohl in der deutschen Familie
zu thematisieren, als auch den indischen Vater so weit ranzuholen, dass ich es
mit ihm thematisieren konnte.“
Auf der Suche nach ihrem indischen Vater reist Merle 1995 zum ersten mal nach
Indien.
„Ich habe mich konsequent dreißig Jahre nicht mit Indien beschäftigt. Aber
das hängt auch mit den Projekionen zusammen. Ich fand diese ganzen Hippiesachen
total doof. Ich bin damals gefahren, weil ich unbedingt meinen Vater treffen
wollte, und zum Recherchieren musst du hin.
Dann bin ich erstmal rum gefahren und war dann einen Monat in Bombay. Da habe
ich mich mit Leuten angefreundet, bin ins Kino gegangen und fand es ganz toll.
Das war nicht Hippie sondern ganz städtisch. Das waren Leute genauso wie wir,
die sitzen im Schnittraum und schneiden am Computer und an demselben Programm
wie wir und die gucken auch den ganzen Tag Filme und machen sich Gedanken
darüber. Das war eine eigene Aneignung an Bombay und da war der Vater egal und
da waren die Hippies egal. Das war dann eine neue Ära und das war sicher auch
ein Grund das Buch zu schreiben, um zu sagen, „Hallo, wir sind ganz woanders
schon angekommen, es gibt eine neue Art miteinander zu arbeiten und zu leben.“.
Als provinzielles Westberliner Couple in Bombay zu landen, einfach dort zu sein,
das war total wahnsinnig. Da habe ich mir gedacht, was tun wir hier eigentlich,
das gibt es doch gar nicht, so eine Stadt kann es doch gar nicht geben und das
wollte ich gerne festhalten. Dieses Entsetzen und dieses ich möchte hier auch
wohnen können. Das hat mich als Stadt total umgehauen.“
„Cut!“ ist also auch eine Liebeserklärung an Mumbai. Es ist eine
Auseinandersetzung mit der indischen Legion in der Wehrmacht. Es ist ein Krimi.
Und es thematisiert das Fremdwahrgenommenwerden in Deutschland, die Suche nach
dem indischen Vater. Auch wenn das heute nicht das zentrale Thema für Merle ist,
weiß sie, dass sie Reaktionen wie meine damit provoziert und dazu steht sie
auch.
„Ich glaube das ist schon ok, das man sich auch damit beschäftigen muss. Ich
bin auch neugierig auf Leute, die eine indisch-deutsche Sozialisation haben.
Aber ich fühle mich nicht unbedingt dazugehörig. Sondern dass ich jetzt eine
Chance habe. Durch das Buch ist das ja schon so ein Schritt gewesen, so eine
Geschichte mal zu veröffentlichen. In dem Moment beziehst du auch Stellung und
dann finde ich einerseits ist es dann nur normal, wenn darauf Leute reagieren,
die in einer ähnlichen Geschichte oder Background aufgewachsen sind, und auf der
anderen Seite kann ich natürlich sagen, ich gehöre nur ganz bedingt dazu und
trotzdem interessiert es mich.“
Aus dieser Neugier auf Menschen indischer Herkunft in Deutschland und deren
Reaktion auf „Cut!“ hat sie an der Talkrunde der Deutschen Welle teilgenommen
und war gespannt auf andere vergleichbare Projekte. Gleichzeitig bewahrt Merle
aber immer ihre Distanz als Autorin.
„In so einer öffentlichen Situation finde ich kann man es ruhig so stehen
lassen und sagen, “Nein ich habe nicht meine Geschichte aufgeschrieben.“ Denn es
ist kein dokumentarisches Buch, es ist ein fiktives Buch und das sind Figuren
und auch ganz bewusst Figuren geworden. Ich finde es total legitim, sich von
einer Geschichte, die man veröffentlicht hat, zu distanzieren und zu sagen, ich
bin die Autorin aber not necessarily bin das ich. Das Buch spricht für sich, ich
mache eine Lesung, das ist ja schon eine Aussage, da muss ich nicht noch lauter
Fragen zur Authentizität beantworten.“
Seit ihrem ersten Aufenthalt in Bombay liebt Merle diese Stadt. Sie hat viele
indische Freunde, interessiert sich für indischen Film, fährt immer wieder hin.
Sie arbeitet seit zwei Jahren an dem Projekt „Import Export“. Sie will sich aber
nicht indisch ethnisieren lassen. Es stört sie, dass sie „natürlich“ mit Indien
verbunden sein soll.
„Plötzlich hast du ein Thema so am Bein und machst ein zweijähriges Projekt.
Da wirst du plötzlich angesprochen als so eine Art Indienexpertin und dann wird
es mir echt anders. ...Ich wollte nie eine Expertin für irgendwas sein und schon
gar nicht für etwas, was auf der anderen Seite so eingeschrieben ist, weil ich
irgendwo indische Vorfahren habe. ... Ich will danach auch Pause machen.
...
Dass es so ein allumfassendes Thema wird, dass man angesprochen wird, von was
gibt es für neue Bollywoodfilme bis hinzu, wogegen muss ich mich impfen lassen,
wenn ich nach Indien fahre. Als ob ich das beantworten könnte!“
Zum Abschluss frage ich Merle, was ihr jetzt wichtig ist, worüber sie das
Interview geführt hätte.
„Na „Import Export“. Nicht um dafür Werbung zu
machen. Ich finde das Dazwischen viel spannender. Was denken die anderen? Die
Geschichte der Zuschreibungen und Phantasmen. Was auch in dem Buch drin ist,
aber mehr ausformuliert im Projekt.“
Wir müssen zum Ende kommen. Die Journalistin und Drehbuchautorin Sun-ju Choi hat
die ganze Zeit dabei gesessen. Auch sie beteiligt sich an „Import Export“. Aber
heute ist sie aus einem anderen Grund da. Sie stellt gerade einen Film von Kanak
TV über deutsche Kolonialgeschichte und ihre Kontinuitäten im deutschen Recht
bis heute fertig. Von der Filmemacherin Merle will sie nun ein kritisches
Feedback. Wir schauen uns den Film an.