Veröffentlichungen von Urmila Goel

Fire – Lesbische Liebe in Indien und der Diaspora

erschienen in: in: Südasien 2/03, 63-64. (auch auf Südasien Info - Text als pdf)

„Bal Thackeray, whose party rules India’s film capital Bombay, told the Pioneer newspaper that contrary to the story of the film „Fire“, lesbianism did not exist in Hindu families.“ AFP, 14.12.1998

Ende 1998 greifen Mitglieder der hindu-nationalistischen Partei Shiv Sena Kinos an. Sie wollen verhindern, dass der Film „Fire“ weiter gezeigt wird. Der 1996 gedrehte Film ist bereits weltweit gelaufen und hat viele Preise bekommen. Nach langer Überprüfung durch die indische Zensur läuft er nun auch seit drei Wochen in Indien vor vollen Häusern. Die Gewaltandrohung durch die Shiv Sena ist bedrohlich. Die Kinobesitzer fürchten um die Sicherheit ihrer Gäste und ihrer Häuser. Sie setzen „Fire“ ab. Der Film geht zurück zur Zensur.

„Fire“ beschreibt das Leben in einer indischen Großfamilie. Zwei Brüder, ihre Frauen und Mutter leben nicht nur zusammen sondern betreiben auch gemeinsam einen Imbiss. Jedes Familienmitglied leidet unter dem sozialen Druck, der auf ihm lastet und dem er nicht gewachsen ist. Die Männer finden ihren Ausgleich ausserhalb der Familie, ihre Frauen müssen sich fügen. Doch sie verlieben sich ineinander und brechen aus dem Bild der idealen indischen Frau aus.

Homosexualität ist in Indien kein Thema - und lesbische Liebe noch viel weniger. In Hindi gibt es noch nicht einmal ein Wort dafür. Mit „Fire“ kommt dieses Thema zum ersten mal an die Öffentlichkeit. Gegen die Proteste der Hindu-Nationalisten und Konservativen beginnt sich eine homosexuelle Bewegung zu formieren. Sie treten gemeinsam auf, verlassen ihre Nischen und fangen an ihre Rechte einzufordern.

Mitte der 90er Jahre geht Asha* für einige Monate mit ihrer Mutter in die USA. Die liberale Professorin engagiert sich auch hier in der Frauenbewegung und nimmt ihre Tochter zu Veranstaltungen mit. Dort wird Asha zum erstenmal mit Frauen, die Frauen lieben, konfrontiert. Für den indischen Teenager ist das ziemlich irritierend.

In Indien ist lesbische Liebe nicht verboten. Sie existiert einfach nicht. Daher wird in Section 377 des Indian Penal Code auch nur die schwule Sexualität unter Strafe gestellt. Frauen müssen nicht vor Frauen sondern vor Männern geschützt werden. Daher wird der Kontakt mit dem anderen Geschlecht möglichst begrenzt. Frauen verbringen die meiste Zeit untereinander, sie sind sich gegenseitig Vertraute. Es ist normal, wenn Frauen sich in den Arm nehmen, Hände halten oder ähnliche Formen von körperlicher Nähe zeigen. In diesem Umfeld ist es nicht schwer, lesbische Liebe zu leben. Es darf nur nicht öffentlich werden. Und frau darf sich nicht ihrer Aufgabe, Ehefrau zu werden, entziehen. Unverheiratet zu bleiben ist für die meisten indischen Frauen nahezu unmöglich. Damit aber ist auch ein selbstbestimmtes lesbisches Leben keine Option.

Während die Shiv Sena gegen „Fire“ Sturm läuft, wollen einige lesbische Frauen ein Zeichen setzen. Einen Sammelband lesbischen Schreibens möchten sie herausbringen. Sie suchen nach Geschichten, tragen sie zusammen und veröffentlichen sie 1999 unter dem Titel „Facing the Mirror“. Ihr Ziel ist es, lesbischen Frauen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind, dass es noch mehr wie sie in Indien gibt. Gleichzeitig wollen sie sich für ihre Rechte einsetzen. Auch wenn mehr Öffentlichkeit vielen Frauen in lesbischen Beziehungen Schaden kann. Denn nur solange es keine Öffentlichkeit gibt und sie nicht weiter auffallen, können sie ihre Nische nutzen. Die Herausgeberinnen des Sammelbands sind aber davon überzeugt, dass sie eine mögliche kurzfristige Verschlechterung hinnehmen müssen, damit langfristig das Verstecken aufhören kann und der soziale Druck, ein heterosexuelles Leben zu führen, geringer wird.

Zurück in Indien hat Asha die Schule abgeschlossen und ist mittlerweile an der Universität. Dort trifft sie eine faszinierende Frau. Sie verbringen viel Zeit miteinander. Sie merken, dass sie ständig an die andere denken. Und obwohl Asha gerade noch ein Freund hatte und Renuka aus einer konservativen Familie kommt, gehen sie eine Beziehung ein. Sie leben ihre Liebe aber nur verdeckt. Asha ist wie ihre Mutter in der Frauenbewegung aktiv. Sie setzt sich für lesbische Frauen ein, organisiert lesbische Filmtage. Sie tut dies aber als engagierte Hetera. Selbst in ihrem liberalen Umfeld trauen sich Asha und Renuka nur, ihren engsten Freunden ihre Liebe zu gestehen.

Derweil ist auch das Interesse der Wissenschaft an Homosexualität in Indien gewachsen. So erscheint 2000 der Sammelband „Same-Sex Love in India: Readings from Literature and History“, der zeigt dass Homosexualität schon immer Teil der indischen Kultur war. Auch über den universitären Bereich hinaus gibt es Möglichkeiten, sich zum Thema zu informieren. In Delhi bietet die Buchhandlung People Tree direkt am Connaught Place neben feministischer auch schwule und lesbische Literatur. Um lesbische Geschichten zu finden, muss frau aber noch nicht einmal hierher. Beim Spazieren rund um den Connaught Place findet frau bei den Strassenbuchhändlern Anita Nairs Roman „Ladies Coupé“ offen ausliegen. In einer der sechs Geschichten beschreibt die Erzählerin ihre Beziehung und schliesslich Affäre mit ihrer Arbeitgeberin. Daneben liegt Manju Kapurs neuer Roman „A Married Woman“. Die verheiratete Frau ist nicht glücklich in ihrer Ehe, erfährt Glück in der Liebe zu einer jüngeren Frau, schafft es aber nicht, sich aus ihrer Familie zu lösen, um dieses Glück zu leben.

Homosexualität wird nicht mehr völlig verschwiegen in Indien. Es gibt öffentliche Diskussionen. Schwule Männer und lesbische Frauen können sich relativ ungestört ihre Nischen einrichten. Es gibt eine Szene. In Pakistan hingegen ist Homosexualität noch viel mehr ein Tabu. Es stehen hohe Strafen auf diese Abweichung von der heterosexuellen Norm. Und obwohl die Strafen selten verhängt werden, sind sie gemeinsam mit der allgemeinen homophoben Stimmung ausreichend, um Homosexualität völlig in den Privatbereich zu verdrängen. Es gibt noch nicht einmal in den Großstädten eine Szene.

Die Pakistanerin Sarah möchte nichts verheimlichen. Sie traut sich aber auch nicht, sich zu outen. Also kann sie keine Beziehung eingehen. Zudem ringt sie noch mit sich selbst. Denn sie ist nicht nur Feministin sondern auch überzeugte Muslimin. Und sie hat noch nicht ergründen können, ob ihre Religion homosexuelle Beziehungen erlaubt oder nicht.

In Westeuropa und den USA erkämpfen sich die Homosexuellen immer mehr Rechte. Zwar ist auch hier wie in Südasien das heterosexuelle Leben die Norm. Aber das homosexuelle kann nicht mehr einfach ignoriert werden. Mehrheitlich wird es inzwischen akzeptiert, zumindest wenn es ausserhalb der eigenen Familie ist. Film und Fernsehen sowie die Werbebranche haben inzwischen insbesondere die Schwulen entdeckt.

Die südasiatische Diaspora bleibt aber weiter ihren Wurzeln treu. Homosexualität kommt bei ihr nicht vor. In Hanif Kureishis „Mein wunderbarer Waschsalon“ und in „East is East“ sind die schwulen Söhne so überzeichnet, dass sie für die konservative Mehrheit der Diaspora nur als Beispiel für die westliche Unmoral dienen. Und in „Bend it like Beckham“ scheint zwar alles darauf hinzulaufen, dass sich Jess in ihre Freundin Jules verliebt. Aber dann ist es doch der Trainer, um dessen Liebe die Freundinnen konkurrieren. Die heterosexuelle Ordnung bleibt erhalten – auch auf der Internetplattform für Inder der zweiten Generation www.theinder.net. Dort gibt es zwar gelegentliche Diskussionen zu gleichgeschlechtlicher Liebe. Es dominiert aber die Ablehnung. Die Mehrheit erscheint der gleichen Meinung wie Bal Thackeray, dass es in Indien keine Homosexuellen gibt.

Der deutsche Inder Ravi glaubt jahrelang er sei der einzige, der aus dem Rahmen der heterosexuellen indischen Welt fällt. Um ein guter Sohn zu sein, denkt er schon über Heirat nach. Als er sich dann doch endlich zum coming out entscheidet, stellt er mit großer Überraschung fest, dass er gar nicht alleine ist. Jasmin, eine deutsche Freundin pakistanischer Herkunft, liebt schon lange Frauen, erzählt das nur nicht in der Community. Und die anderen – es sind gar nicht so wenige - halten es genauso.

Wie in Indien oder Pakistan sind lesbische Frauen und schwule Männer auch in der südasiatischen Diaspora isoliert. In den USA unterstützen sich einige inzwischen gegenseitig bei SALGA (South Asian Lesbian and Gay Association), in Deutschland scheint es sie noch gar nicht zu geben. Die Normen der Diaspora versuchen Homosexualität im Keim zu ersticken. Wenn es trotzdem zum coming out kommt dann meist nur in der deutschen Gesellschaft. Gegenüber den Eltern und der Community fehlt den meisten der Mut zur Offenheit.

Für Asha aber war ihr Besuch in Deutschland etwas besonderes. Sie konnte es gar nicht fassen, dass die Lesben-Party offen in der Zeitung angekündigt wurde. Und dann bei der Party war sie überwältigt. Ein Raum voller Frauen, die mit Frauen tanzen, reden, flirten und keiner stört sich daran. Das wünscht sie sich auch für Indien.

* Alle Namen sind selbstverständlich geändert. Keine der Frauen kann es sich trauen, in der Öffentlichkeit offen zu ihrer Sexualität zu stehen.
 

© Urmila Goel, www.urmila.de 2003