Veröffentlichungen von Urmila Goel zum Forschungsprojekt Die virtuelle zweite Generation
erschienen in: DIG Mitteilungsblatt 3/2005, 17-18 (als pdf) und auf www.theinder.net. (Text als pdf)
Nachdem Madhusree Dutta aus Bombay während des Berliner Symposiums von Import Export anderthalb Stunden geduldig den Ausführungen zum Internetportal www.theinder.net und seiner Bedeutung als Raum der zweiten Generation gefolgt ist, hält es sie nicht länger. Die Leiterin von Majlis, einem Zentrum für mulitikulturelle Initiativen, und Kuratorin des Bombayer Symposiums von Import Export versteht nicht ganz worüber die deutschen „InderInnen“ gerade sprechen. Ihr fehlt die politische Dimension bei der Diskussion der „indischen“ Community in Deutschland. „What about class?“ ist eine ihrer Kernfragen. Sowohl die NutzerInnen von theinder.net wie auch die Community, von der der stellvertretende Botschafter Indiens Amit Dasgupta spricht, scheinen ihr eine privilegierte Gruppe zu sein. Es sind nicht die AsylbewerberInnen und Flüchtlinge, die diese Gruppe ausmachen. Es sind Menschen in privilegierten Positionen, die die Entscheidung zur Migration selber getroffen haben. Diese Einordnung der „InderInnen“ in Deutschland vermisst Dutta in der Diskussion, sie findet sie generell zu unkritisch, zu unpolitisch.
Dutta stellt auch grundsätzlich in Frage, dass sich in Deutschland eine
Community von „InderInnen“ bilden und diese gefördert werden müsse. Sicher könne
eine Gemeinschaft Schutz und Sicherheit bieten. Gleichzeitig könne das
Zurückziehen in eine ethnische Community aber bedeuten, dass man den Problemen
aus dem Weg gehe, sich in einem Nest zurückziehe. Bijon Chatterji, Chefredakteur
von theinder.net, sieht dies nicht als
Problem. Er, der in Deutschland aufgewachsen ist, hatte ein Bedürfnis nach
Community und wollte ihr einen Raum schaffen. Mit zwei Freunden zusammen
gründete er das Internetportal als „Indian Online Community“. An diesem Ort der
zweiten Generation sind Gemeinschaft und ethnische Zusammengehörigkeit die
zentralen Konzepte. Die „indische“ Community ist für Chatterji die Gemeinschaft
der „InderInnen“ in Deutschland, zusammen gehalten durch eine gemeinsame Kultur.
Bei der zweiten Generation komme die Erfahrung doppelter Ausgrenzung in
Deutschland und Indien hinzu. Auch Amit Dasgupta, geht davon aus, dass Menschen
mit indischem Hintergrund eine Gemeinsamkeit haben, dass sie gemeinsame Räume
brauchen. Während die beiden mit Urmila Goel vom
Forschungsprojekt „Die
virtuelle zweite Generation“ diskutieren, sind auch die NutzerInnen von
theinder.net live dabei. Auf zwei großen
Leinwänden können die TeilnehmerInnen von
Import Export ihren
Diskussionsbeiträgen folgen. Eine Userin fasst ihre Meinung zum Thema so
zusammen: „Wir sind eine Community, weil wir uns hier zusammen getan haben, man
hat dieselben Interessen, oder gerade gegensätzliche... es hält uns etwas
zusammen, und das ist dieses Forum!“
Unklar bleibt aber was sich hinter dem Begriff Community verbirgt. Der Begriff
wird mal für die Gemeinschaft aller „InderInnen“ in Deutschland, mal für die
NutzerInnen des Internetportals benutzt. Mareile Paske, wissenschaftliche
Hilfskraft im Forschungsprojekt,
bringt in die Diskussion einige Elemente wissenschaftlicher Definitionen von
Gemeinschaft mit ein. Sie hat in ihrer Forschung vor allem die Frage des
emotionalen Zusammenhalts bei virtuellen Gemeinschaften untersucht. Auf
theinder.net lässt sich dieser im Forum
unter den VielnutzerInnen zum Teil wieder finden, diese sind vertraut
miteinander, gehen aufeinander ein, unterstützen sich emotional. Für die
Gesamtheit der NutzerInnen der Internetportals bezweifelt Paske allerdings die
Anwendbarkeit des Begriffes Gemeinschaft. Die Verbindungen sind zu lose. Goel
spricht daher auch eher von einem Netzwerk, das durch
theinder.net geschaffen wurde, als von
einer Community. Paskes Kollegin Alexandra Florea weist darauf hin, dass
entscheidend bei Gemeinschaften immer die Abgrenzung von Außen und Innen, also
die Grenzen sind. Diese hat sie in ihrer Forschung bei unterschiedlichen
Internetportalen untersucht, und festgestellt, dass gerade im Virtuellen diese
Grenzen fließend sind und sich ständig ändern. Dies macht es um so schwieriger
den Begriff Community für eine bestimmte Gruppe zu benutzen. Wenngleich die
Wissenschaftlerinnen sich so scheuen bei
theinder.net von einer Community zu sprechen, so tun dies die RedakteurInnen
und NutzerInnen ohne große Bedenken. Kathrin Rosi Würtz, ehemalige Redakteurin
von theinder.net, spricht daher von einer
gefühlten Community, die auf theinder.net
entstanden ist bzw. ihren Raum gefunden hat. Hier kann das Bedürfnis an
Gemeinschaft, das viele haben, befriedigt werden.
Wie Dutta bekommt auch die Berliner Kuratorin von
Import Export Merle Kröger zunehmend
Probleme mit der Diskussion. Der diskutierte Community-Begriff ist ihr zu
essentialistisch, zu fest geschrieben. Sie stellt in Frage, dass man sich
aufgrund seiner Herkunft überhaupt einer Community von „InderInnen“ zugehörig
fühlen müsse, egal ob nach wissenschaftlichen Kriterien oder aber gefühlt.
Kröger weist darauf hin, dass jegliche Community konstruiert ist und man daher
diesen Prozess der Konstruktion hinterfragen müsse. Wenn man Gleichgesinnte
suche, dann habe man die Wahl welche dies sein. Man könne sich mit anderen auf
der Basis von ethnischer Herkunft zusammen tun, man könne sich aber zum Beispiel
auch mit anderen VogelkundlerInnen zusammenschließen. Kröger glaubt im Gegensatz
zu Dasgupta und Chatterji nicht an die jedem innewohnende, quasi per Geburt
mitgegebene indische Kultur. Eine natürliche Identifizierung mit ethnischer
Herkunft stellt sie grundsätzlich in Frage. Die Zuordnung zu Indien sieht sie
viel eher als eine Folge von Ausgrenzungserfahrungen in Deutschland. Hier werden
Menschen aufgrund von Hautfarbe, Namen, der von der „deutschen“ Norm
abweichenden Erziehung durch die in Indien sozialisierten Eltern als „InderIn“
definiert und suchen sich deshalb auf dieser Basis Gleichgesinnte. Der
Zusammenschluss auf ethnischer Basis ist für Kröger aber keine notwendige
Schlussfolgerung aus den individuellen Erfahrungen. Es gebe auch andere
Optionen. So könne man sich auch einer politischer Initiative anschließen, die
gegen Diskriminierungen in Deutschland kämpfe. Wie Dutta sieht Kröger bei
ethnischen Communities die Gefahr sich gemütlich in einer Nische einzurichten
und dabei andere Realitäten zu ignorieren. Bei
theinder.net fehlt Kröger bisher die
reflexive Auseinandersetzung mit der getroffenen Entscheidung sich auf Basis von
ethnischer Identität zusammen zu schließen. Sie hält diese Entscheidung nicht
für natürlich, es hätte auch andere Möglichkeiten gegeben. Sobald die
Entscheidung getroffen wird, ist sie aber politisch wirksam, auch oder gerade
dann wenn sie nicht thematisiert wird. Es ist eine Entscheidung, die nationale
Identität betont und damit letztendlich auch die Grundlage für ausgrenzenden
Nationalismus sein kann.
Chatterji bestreitet in der Diskussion, dass
theinder.net politisch ist oder sein kann. Für ihn ist das Internetportal
eine Raum für Kommunikation und Information, mehr nicht. Die Redaktion lege Wert
darauf, dass die Informationen ausgeglichen bleiben. Auf die kritische
Nachfrage, dass das Portal alleine schon durch seine Existenz politisch sei,
kann er leider nicht mehr in der großen Runde antworten, da die Diskussionszeit
zu Ende ist. Er will sie aber nicht im Raum stehen lassen und so diskutieren
Kröger und Chatterji in kleiner Runde weiter. Sie verabreden diese Diskussion
auch über das Symposium hinaus weiterzuführen.
In ihrer Zusammenfassung spricht Paske wohl für viele TeilnehmerInnen, als sie
sagt, dass sie mit einigen Annahmen und Antworten in die Diskussion
hineingegangen ist und nun mit vielen neuen Anregungen und Fragen herausgehe.
Auf diesen Prozess der Veränderung beim Eintreten und Verlassen eines Raumes,
egal ob virtuell oder physikalisch, weist auch Florea in ihrem Schlusswort hin.
Sie betont, dass sich sowohl der Raum wie man selbst verändere, während man in
dem Raum sei. Alles sei im Fluss und vergänglich. Am Ende verlasse man den Raum
wieder, und neues entstehe. Das gelte sowohl für das Internetportal wie auch für
das Symposium.