Veröffentlichungen von Urmila Goel

Die indische Legion
Ein Stück deutsche Geschichte

erschienen in: Südasien 4/03, 27-30. (Text als pdf)

„Cut. Die Kamera hat sich dem Boden zugewandt. Reproduktionen alter Schwarz-Weiß-Aufnahmen, einige davon so unscharf, dass man die marschierenden Soldaten darauf nur erahnen kann. Ein Moment der Privatheit, mitten im Krieg: Drei Offiziere lächeln verkrampft ins Objektiv des Fotografen. An ihren Kragen leuchten die Abzeichen der deutschen Wehrmacht. Die Kamera bleibt irritiert hängen. Einer der Männer sieht nicht aus wie ein Deutscher. Seine Haut, seine Augen, sein Haar sind dunkel.“

aus dem Krimi „Cut!“

Madita ist auf der Suche nach ihrem unbekannten Vater. Sie kommt nicht wirklich voran. Aber mehrere ihrer Gesprächspartner ereilt ein gewaltsamer Tod. Auf einmal befindet sie sich selbst im Visier des Mörders. Sie ist auf ein dunkles Geheimnis der indischen Legion gestossen.

Die deutsche Filmemacherin Merle Kröger wurde in Indien immer wieder auf die indische Legion angesprochen. Wie die meisten Deutschen hatte sie von ihr noch nie gehört. Bei ihren Recherchen erfuhr sie dann von der ungeklärten Hinrichtung 29 indischer Deserteure in Frankreich. Das ideale Thema für Merle Krögers ersten Krimi „Cut!“, in dem sich ihre Hauptfigur Madita als Detektivin versucht.

Europa und der indische Freiheitskampf

Die indische Legion war Teil der deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg und wurde gegen Ende des Kriegs der Waffen SS unterstellt. Im Sommer 1941 hatte der indische Freiheitskämpfer Subhas Chandra Bose begonnen, in Kriegsgefangenenlagern indische Freiwillige für die Legion zu werben. Er versprach ihnen, dass sie gegen die Briten für die Freiheit Indiens kämpfen würden. Für die deutsche Armee waren ausländische Freiwillige nichts Neues. Es gab mehrere ausländische Einheiten, die im Rahmen der deutschen Propagandaarbeit an ihrer Seite kämpften.

Bose war 1941 auf abenteuerlichen Wegen nach Deutschland geflohen, um hier die Unterstützung des Feindes seines Feindes zu gewinnen. Schon in den 30er Jahren war er in Europa gewesen und hatte bei der Gelegenheit die verschiedenen europäischen nationalen Bewegungen studiert. Mussolini hatte er mehrmals getroffen, den irischen Kampf gegen die Briten kennengelernt und sich mit Atatürks Türkei auseinander gesetzt. Auch den deutschen Nationalsozialismus schaute er sich genau an. Es gelang ihm allerdings nicht, einen Termin mit Hitler zu bekommen. Wenngleich er nicht die zugrundeliegenden Ideologien teilte, fand er doch viel Nachahmenswertes in den Bewegungen des europäischen Nationalismus und suchte dort nach Unterstützern für den indischen Freiheitskampf.

Bose und die deutschen Nationalsozialisten

Selbstbewusst trat Bose den europäischen Machthabern gegenüber. So beschwerte er sich schon in den 30ern bei den deutschen Nationalsozialisten darüber, dass indische Studenten seit ihrer Machtübernahme einem zunehmenden Rassismus ausgesetzt seien, dass die deutsche Presse negativ über Indien berichte und dass die Inder den Rassengesetzen, insbesondere dem Verbot der Eheschliessung mit Deutschen, unterliegen. Diese Beschwerden wurden zur Kenntnis genommen, es wurde versucht sie mit Lippenbekenntnissen zu beruhigen, ein wirklicher Erfolg war Bose allerdings nicht vergönnt. Hitler hatte bereits in „Mein Kampf“ gegen indische Freiheitskämpfer polemisiert und den Briten das Recht zur Herrschaft über Indien zugestanden. Er sah in den Indern nicht gleichberechtigte Arier, mit denen er gegen den gemeinsamen Feind Großbritannien in den Kampf ziehen wollte. Für ihn gehörten die Inder zu den minderwertigen Rassen, die weiter kolonialisiert werden sollten.

Als Bose 1941 wieder nach Deutschland kam, war ihm mehr Erfolg vergönnt. Hitlers Einstellung zu Indien hatte sich zwar nicht geändert, aber Propagandaarbeit gegen die Briten war nun im Interesse der Deutschen. So wurde noch im gleichen Jahr im Auswärtigen Amt ein Sonderreferat Indien gegründet, dessen Aufgabe die Indienpropaganda war. Dazu gehörten die Einrichtung der Zentrale Freies Indien (Azad Hind) und der Aufbau der indischen Legion.

Inder in Europa

Schon vor dem 1. Weltkrieg waren zahlreiche indische Studenten und Freiheitskämpfer nach Kontinentaleuropa gekommen. Ausserhalb des Machtbereichs des Kolonialherren arbeiteten sie für die Freiheit Indiens oder setzten ihre akademische Ausbildung fort. Insbesondere deutsche Universitäten hatten einen sehr guten Ruf und so kamen auch viele Inder nach Deutschland. Häufig verband sich politisches und akademisches Wirken. Transnationale Netzwerke von aktiven Indern entstanden. Auch die Führer des indischen Freiheitskampfes Nehru und Bose kamen beide nach Europa und Deutschland. Sie knüpften Kontakte und suchten Unterstützung für ihre Sache. Dabei vermied Nehru jegliche offiziellen Kontakte mit dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien. Er wollte von ihnen nicht zu Propagandazwecken missbraucht werden und verurteilte ihre Politik. Bose hingegen ging pragmatischer vor, sah in beiden nützliche Bündnispartner im Kampf gegen die Briten und verurteilte ihre Politik nicht grundsätzlich.

Zentrale Freies Indien

Die Mitarbeiter der Zentrale Freies Indien wurden vorwiegend aus den in Europa lebenden Indern rekrutiert. Im Frühjahr 1942 waren es bereits 13. Die meisten von ihnen waren Akademiker und hatten sich schon vorher in indischen Vereinen engagiert. Der bekannteste unter ihnen war A.C.N. Nambiar, der in Berlin das Indische Informationsbüro im Auftrag des Kongress geleitet hatte. Nach dem Krieg wurde er Botschafter Indiens in Bonn. Bose musste allerdings all seine Überzeugungsarbeit einsetzen, um Nambiar für das Projekt Azad Hind zu gewinnen. Seitdem die Nazis Nambiar verhaftet und sein Büro geschlossen hatten, war er nicht gut auf sie zu sprechen und hatte seit 1933 ausserhalb Deutschlands gelebt.

Die Deutschen wollten die Zentrale dafür nutzen, Propaganda für sich selbst und ihre Ziele zu machen. Bose hingegen forderte, dass die Zentrale unter seiner Leitung ausschliesslich für den indischen Freiheitskampf eingesetzt wird. Die Deutschen willigten ein, da eine scheinbar unabhängige Zentrale für ihre Propaganda wichtig war. Die wesentlichen Projekte waren das Radioprogramm und die Zeitschrift Azad Hind. Das Rundfunkprogramm richtete sich an Inder, die im britischen Einflussbereich lebten oder kämpften. Es wurde in indischen Sprachen und Englisch ausgestrahlt. Wenngleich die Deutschen Boses politische Ansichten nicht teilten, liessen sie ihn unzensiert gewähren, da die Sendungen nicht nach Deutschland wirkten. Mehr Probleme hatten sie mit Boses Idee, eine Zeitschrift in Deutsch und Englisch herauszubringen, da so seine politischen Überzeugungen auch nach Deutschland getragen werden konnten. Schliesslich willigten sie aber im Interesse des Gesamtprojekts ein, ein eigenes Medium für in Europa lebende Inder zu gründen.

Der Aufbau der indischen Legion

Die Zentrale Freies Indien war gemeinsam mit dem Sonderreferat Indien an der Betreuung der indischen Legion beteiligt. Dort hatten zwar auch ein paar Studenten angeheuert, aber überwiegend bestand sie aus indischen Kriegsgefangenen, die vorher in der britischen Armee gedient hatten. Die Werbung von Freiwilligen in den Kriegsgefangenenlagern hatte sich allerdings als schwieriger als gedacht herausgestellt. Ohne Boses Überzeugungskraft wäre es kaum gelungen, eine ausreichende Anzahl zu gewinnen.

Alle Freiwilligen behielten offiziell ihren Kriegsgefangenenstatus, damit die Briten sie nicht als Kollaborateure erkennen und ihre Familien dafür bestrafen konnten. Diese Regelung hatte nicht nur zur Folge, dass die indischen Soldaten weiterhin Briefkontakt mit Indien halten konnten, sie bekamen auch den ganzen Krieg hindurch weiter Verpflegungspakete vom Roten Kreuz zugestellt. Unabhängig von diesem internationalen Rechtsstatus waren die indischen Freiwilligen innerhalb Deutschlands und in der Wehrmacht den deutschen Soldaten gleichgestellt und konnten sich in ihrer Freizeit frei bewegen.

Ihren Eid legten die indischen Soldaten sowohl auf Hitler wie auf Bose ab. Die meisten Freiwiligen waren ausgebildete Soldaten, da sie bereits in der britischen Armee gekämpft hatten. Offiziere waren wenige dabei, da sie nur als einfache Soldaten in der indischen Legion hätten anfangen können. Bose wollte so verhindern, die britischen Strukturen zu übernehmen. Zu den ausgebildeten Soldaten kamen Freiwillige ohne Kampferfahrung, da sie entweder in der britischen Armee als Hilfspersonal gedient hatten oder Zivilisten waren. Alle zusammen kamen sie zur Ausbildung ins Lager Anaburg. Ihre Ausbilder waren deutsche Offiziere.

Wehrmachtsangehörige mit internationaler Erfahrung und Englischkenntnissen wurden zur indischen Legion versetzt. Soldaten mit abgeschlossenem Studium der Indologie oder ähnlichen Fächern sowie jene, die bereits in Indien gelebt hatten, wurden besonders gesucht. Sie sollten als Dolmetscher und Übersetzer dienen sowie Hindustani für den Armeegebrauch entwickeln. Hindustani sollte eine neue Sprache angelehnt an Hindi und Urdu mit lateinischer Schrift sein. Ziel der Deutschen war es, Englisch als Kommandosprache zu ersetzen. Für Bose war Hindustani ein erster Schritt zu einer einheitlichen nationalen Sprache Indiens. Die Indologen wirkten nicht nur als Vermittler in sprachlichen Dingen sondern auch bei kulturellen Differenzen. Gleichzeitig konnten sie ihre Dienstzeit zu Forschungszwecken nutzen und ihre Sprachkompetenzen ausbauen.

Ein weiterer Ansatz Boses zur Betonung der nationalen Einheit war es, die indische Legion nicht abgegrenzt nach ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten aufzubauen. Hindus, Muslime und Sikhs sollten Seite an Seite für die indische Freiheit kämpfen. Dies stand im Gegensatz zur Praxis der britischen Armee, in der möglichst einheitliche Einheiten, wie zum Beispiel jene der Gurkhas, gebildet wurden. Das Zusammenbringen von Soldaten unterschiedlicher Sprache und Religion stellte besondere Herausforderungen an die Organisation der Legion. Hindustani sollte die sprachlichen Differenzen überbrücken. Die Verpflegung basierte auf Hammel und vegetarischen Gerichten. Gebetsräume wurden für Hindus, Muslime und Sikhs eingerichtet. Die deutschen Offiziere entschieden welche religiösen Feiertage Freistellung vom Dienst bedeuteten. Trotzdem liessen sich Konflikte zwischen den Soldaten nicht vermeiden. Sie waren es gewohnt, als Mitglied einer spezifischen religiösen oder ethnischen Gruppe betrachtet zu werden und als solches auch spezielle Gruppenrechte zu haben. Dies konnte auch die indische Legion nicht ignorieren, musste auf die jeweiligen Befindlichkeiten eingehen und den Eindruck von Begünstigungen oder Benachteiligungen von Gruppen vermeiden. So erfolgten Beförderungen zum Beispiel nach strengen Quoten.

Verlegung an die Westfront

Je länger die Ausbildung im Lager Anaburg dauerte, desto mehr verschlechterte sich Deutschlands militärische Lage und desto unmöglicher wurde es, die indische Legion tatsächlich in Richtung Indien zu schicken. Es kam daher der Befehl, sie an die Westfront nach Holland zu verlegen. Dies führte unter den indischen Freiwilligen zu viel Unmut und auch offener Befehlsverweigerung. Sie argumentierten, dass sie sich ausschliesslich für den indischen Freiheitskampf verpflichtet hatten und dieser Befehl daher nichtig sei. Mit viel Mühe konnte die Mehrheit der Freiwilligen überzeugt werden, dass der Kampf gegen die Briten auch im Westen im Interesse Indiens sei. Jene Freiwillige, die dieser Argumentation nicht folgen wollten, blieben im Lager Anaburg, die anderen kamen zuerst nach Holland und später nach Frankreich. Sie wurden allerdings nicht in das eigentliche Kriegsgeschehen eingebunden. Ihre Aufgabe bestand eher darin, den kämpfenden Einheiten zum Beispiel bei der Befestigung der Küstenbunker zuzuarbeiten. So gab es auch kaum Todesfälle oder Verwundete in der indischen Legion.

Bis zum Kriegsende reichte diese Sicherheit allerdings nicht. Mit der drohenden Invasion der Alliierten konnte sich die indische Legion nicht mehr fern von allen kriegerischen Handlungen halten. Auf ihrem Rückzug nach Deutschland war auch sie den Angriffen der Alliierten und der französischen Widerstandskämpfer ausgesetzt. Gegnern, die in Gefangenschaft gerieten, wurden zum Teil ein kurzer Prozess gemacht und Hinrichtungen schnell vollzogen. Quartiere und Ausstattungen wurden beschlagnahmt und nicht immer erhielten die Franzosen dafür Quittungen. Plünderungen und Vergewaltigungen nahmen zu und wurden nicht mehr so konsequent wie in den festen Lagern bestraft.

Nichtsdestotrotz erreichte die indische Legion fast vollständig deutschen Boden. Nur wenige Gefallene und Festgenommene waren zu beklagen. Es gab auch nur wenige Deserteure. Zu diesen wenigen gehörten allerdings hohe deutsche Offiziere und auch jene 29 Inder, die von den Franzosen erschossen wurden. Nach dem Krieg forderten die Briten eine Aufklärung dieses Vorfalls. Als die Franzosen allerdings keine zufriedenstellende Begründung lieferten, fragten sie nicht weiter nach und bis heute ist ungeklärt, warum die unbewaffneten Deserteure hingerichtet wurden. Historiker vermuten, dass die Deserteure Opfer der Rache für Kriegsverbrechen der indischen Legion wurden.

Die Inder und die Europäer

In Frankreich war die Bevölkerung von Anfang an recht reserviert gegenüber den indischen Soldaten gewesen. Die Franzosen kannten Farbige aus ihren eigenen Kolonialtruppen und hielten Distanz zu ihnen. In Deutschland und Holland war dies anders gewesen. Dort hatten die exotischen Soldaten viel Aufmerksamkeit erregt und waren insbesondere bei den Frauen sehr beliebt. Die deutschen Offiziere sahen mit Unwillen, dass es zu vielen Liebesbeziehungen kam. Überhaupt scheinen die Deutschen in der Legion zwischen Abgrenzung von und Kameradschaft mit den indischen Soldaten hin und her gerissen gewesen zu sein. Charakterisierend hierfür ist die Aussage eines Dolmetschers über die indischen Kameraden. Er dankt in seinem Buch unseren „‘Bimbos‘, wie wir sie zärtlich-herablassend unter uns Deutschen nannten.“

Am Ende des Kriegs stand für die indischen Soldaten wieder die Kriegsgefangenschaft. Überlegungen, in die Schweiz zu gehen, um so nicht den Briten in die Hände zu fallen, wurden nicht in die Tat umgesetzt. Indische wie deutsche Angehörige der indischen Legion kamen in Kriegsgefangenenlager in Frankreich oder Deutschland. Die Inder wurden dann nach Indien verlegt und schon 1946 aus der Gefangenenschaft entlassen. Die Briten mussten beim Prozess gegen Offiziere der Indian National Army im Roten Fort erkennen, dass die indische Bevölkerung eine Verurteilung jener Soldaten, die mit dem Feind kollaboriert hatten, nicht akzeptieren würde. So erfolgte auch keine Bestrafung der Angehörigen der indischen Legion. Die Soldaten wurden allerdings nicht wieder in die indische Armee aufgenommen.

Einige der deutschen Angehörigen der indischen Legion blieben auch nach dem Krieg Indien verbunden. Dies galt natürlich insbesondere für die Professoren Thieme, Rau und Hoffmann, die zu den führenden Indologen an deutschen Universitäten zählten. Aber auch Offiziere wie Adalbert Seifriz und Wilhelm Lutz engagierten sich weiter für die deutsch-indischen Beziehungen. Die beiden gehörten 1953 zu den Gründern der Deutsch-Indischen Gesellschaft in Stuttgart.

 

© Urmila Goel, www.urmila.de 2003