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International: Indien

Gegen Tabus und Mythen

Temperamentvoll streitet Ponni in Indien für eine selbstbestimmte Sexualität. Mit liberalen Eltern ist sie jedoch privilegiert

„I am a feminist Marxist“, stellt sich Ponni auf einem internationalen Workshop in Colombo in Sri Lanka im Oktober 2002 vor. Die mit 18 Jahren jüngste Teilnehmerin ergänzt: „In Indien bedeutet das Lesbe.“ Ein Coming-out ist das aber nicht, die anderen Teilnehmenden aus ganz Südasien sind auf diesem Ohr ziemlich taub. In den nächsten Tagen geht es um Vorurteile zwischen den Ländern des Subkontinents. Die politisch engagierte Studentin wettert gegen den rechten Hindu-Nationalismus in Indien, tritt für die Unterdrückten ein, fordert Veränderungen, hört den anderen gespannt zu. Wenn alle erschöpft auf ihren Stühlen hängen, holt Ponni ihre Trommel hervor, und dann kommen die Lebensgeister zurück.

Beste Freundinnen halten Händchen

Später fragt Ponnie, ob sich bei den Workshops eigentlich häufig Leute ineinander verlieben. Ihr ist es offensichtlich passiert, doch niemand der anderen Teilnehmenden hat es bisher bemerkt. Beim nächsten Treffen der Gruppe schreitet die internationale Völkerverständigung zwischen der jungen Tamilin und ihrer Auserwählten weiter voran. Die anderen merken noch immer nichts. In Südasien können Frauen Händchen haltend durch die Straßen gehen, beste Freundinnen machen das so.

Zurück in Delhi muss die temperamentvolle Ponni ihr Leben neu sortieren. Die Liebe über Grenzen hinweg hält zwar nicht, aber von ihrer langjährigen Freundin trennt sie sich trotzdem. Bald tritt eine neue Frau in ihr Leben, und endlich kann sie ein Coming-out wagen. Ihre erste Freundin wollte das nicht, und so wussten nur Ponnis unorthodoxe Mutter und engste Freunde von der Beziehung. Jetzt aber braucht sie nicht länger als Hete für homosexuelle Rechte einzutreten, sie kann selbstbewusst sagen: „Ich bin bisexuell!“ Mit Freunden gründet sie das queere Medienkollektiv Nigah. Mit Theater, Film und Ausstellungen wollen die jungen Studentinnen und Studenten das Schweigen rund um Sexualität, egal ob hetero oder homo, brechen.

Die 23-jährige Natasha in Mumbai hört 2003 von ihnen. Sie ist gerade dabei, Larzish, das erste indische Filmfestival zu Sexualität und Geschlechtervielfalt, vorzubereiten. Un besehen lädt sie Nigah ein, denn, so erklärt sie gegenüber L-MAG: „sie sind jung und haben einen anderen Ansatz“. Einen anderen Ansatz als die Pionierinnen der Bewegung, die klassische politische Arbeit machen, Texte schreiben, Demonstrationen organisieren und Reden halten. Die neuen Jungen, zu denen Natasha die Leute von Nigah und sich selbst zählt, machen das zwar auch alles, aber sie wollen die Menschen vor allem durch Kultur erreichen. Natasha macht Filme, Ponni und Nigah-Gruppe spielen Theater. Beim Larzish Festival im Oktober 2003 sind deren drei Coming-out-Geschichten „Teen Kahaniyan“ ein voller Erfolg. Natasha schwärmt noch ein Jahr später davon: „Die Zuschauer haben sie geliebt. Die Leute von Nigah sind großartig, als Menschen und Aktivisten.“

Ehe nicht das höchste Ziel im Leben

Als lesbische Aktivistin lässt sich Ponni nicht beschreiben, das ist ihr viel zu eng. Sie tritt für queere Inhalte ein und versteht darunter einen sehr umfassenden Ansatz: „Queer sind alle, die bereit sind, ihre Sexualität in Frage zu stellen und sie ständig neu auszuhandeln.“ Queer ist also nicht nur homo, auch Heten können queer sein. Sie sind es, wenn sie die gesellschaftlichen Normen von Sexualität in Frage stellen, wenn sie die Ehe nicht als höchstes Ziel in ihrem Leben ansehen. Auch für deren Rechte will sie sich einsetzen, denn sie weiß: „Frauen haben es schwer genug, heterosexuell zu sein.“ Aber es ist nicht immer einfach, ein komplexes Bild zu zeigen. „Manchmal“, argumentiert Ponni, „müssen wir unseren Schwerpunkt auf Homosexualität legen. Nur so können wir gegen die Tabus und Mythen angehen.“

Homosexualität sichtbar machen ist nicht ungefährlich. Die heute 21-jährige Ponni ist inzwischen an der linken Eliteuniversität JNU in Delhi eingeschrieben. Queere Aktivitäten gab es auf dem idyllischen Campus bisher nicht. Daher hat sie mit anderen zusammen das queere Studentenkollektiv Anjuman gegründet. Sie brechen das Schweigen und stoßen dabei auf Widerstand. Ponni erzählt, wie eine ihrer Veranstaltungen durch eine rechte Studentenorganisation gestört wurde, Gewalt lag in der Luft, und so räumten sie lieber den Platz. „Täglich“, fügt Ponni hinzu, „werden Schwule auf dem Campus belästigt. Als Frau hat man es etwas besser.“ Sie bekommt zwar auch böse Blicke und Bemerkungen, weil ihr Haar – mittlerweile trägt sie es kurz – und die Ärmel nicht lang genug sind oder weil sie raucht. Aber als Lesbe wird sie nicht erkannt. Ihre schwulen Freunde schon, und sie erzählen, wenn sie Ponni abends besuchen – ihre Wohngemeinschaft ist einer der wenigen schwullesbischen Treffpunkte in Delhi –, regelmäßig von homophoben Beschimpfungen und Pöbeleien.

Ponni weiß aber auch, dass sie als Tochter linker Aktivisten, mit englischer Ausbildung, in der Weltstadt Delhi lebend, absolut privilegiert ist. Sie kann sich mit patriarchalen Strukturen auseinander setzen, kann es sich leisten, sich politisch zu engagieren, kann sich eigene Schutzräume aufbauen. Die Mehrheit der Lesben in Indien hat dieses Glück nicht. Sie leben außerhalb der Metropolen, ohne Kontakt zu anderen und ohne ein Wort in ihrer Muttersprache, das ihre Liebe zu einer anderen Frau ausdrückte. Mit diesen Frauen will Ponni zusammenarbeiten. Und so sieht sie ihre Zukunft auch nicht in Delhi, sondern in ihrer Heimatstadt Chennai, im konservativen Bundesstaat Tamil Nadu.

Text: Urmila Goel

Die Autorin ist ehemalige Südasienreferentin der Friedrich-Ebert-Stiftung, heute wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder)

Ausgabe
März/April 2005

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