Veröffentlichungen von Urmila Goel zum Forschungsprojekt Die virtuelle zweite Generation
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Im Sommer 2000 forderte Rüttgers in Reaktion auf die GreenCard-Aktion der rotgrünen Bundesregierung "Kinder statt Inder". Das konnten die Kinder der Inder in Deutschland nicht unkommentiert lassen.
>> siehe auch "Inder, Kinder, Chip-Erfinder. Die Green-Card-Diskussion aus der Sicht eines Inder-Kindes" (als pdf)
Da ihnen zudem gerade in der öffentlichen Diskussion ein Computer-Gen eingepflanzt worden war, machten sich drei Inderkinder daran ihre Internetseiten zu verlinken. Sie setzten gegen die polemische politische Rhetorik ihr InderNetz. Und da inder.net und indernet.de schon vergeben waren, nahmen sie eine typisch indische Sprachmischung und meldeten theinder.net an. Die Inder sollten nicht kommen, aber the Inder waren schon da. Zu Anfang fanden sich vor allem diverse Cartoons rund um die IT-Inder auf der Seite, aber bald schon reichte das den Gründern nicht mehr. Gästebücher und Chats waren die neuesten technischen Errungenschaften und durften auf keiner Internetseite, die etwas von sich hält, fehlen. Das Indernetz wurde eifrig ausgebaut, on- und offline wurde nach anderen Inderkindern gesucht. Und derer waren gar nicht so wenig. Viele hatten sich schon an das neue Medium gemacht, ob mit einem Online Mandir, der unoffiziellen Seite des indischen Fußballs oder mit einem neuen Musik Label. Allen gemein war diesen Seiten, dass sie völlig auf der Initiative von Indo-Deutschen der zweiten Generation beruhten. Die Macher - die meisten waren dem gängigen Vorurteil folgend tatsächlich Männer - waren überwiegend Studenten oder gar noch Schüler. Sie verbanden die Lust, mit dem neuen Medium zu spielen, mit dem Interesse an dem Herkunftsland ihrer Eltern Indien.
Die Vernetzung der Einzelprojekte wurde durch ein Seminar der Deutsch-Indischen Gesellschaft im November 2000, das genau dies zum Ziel hatte, weiter befördert. Viele die sich vorher nur online kannten, trafen sich nun zum ersten mal offline. Andere erfuhren erstmals von den verschieden Projekten. Es fand eine spontane Redaktionssitzung für theinder.net statt, neue Redakteure kamen dazu und die Zugriffszahlen gingen in der folgenden Zeit rasant hoch. Aus dem privaten Indernetz der bengalischen Norddeutschen wurde langsam ein pan-deutsches und pan-indisches Internetportal. Zu ihrem 3jährigen Jubiläum im Herbst 2003 erinnerten sich die Redakteure mit Wehmut an diese gute alte Zeit ihres Portals. Einer Zeit in der man sich noch mit seinem richtigen Namen in den Chat begab und im Forum diskutierte. Einer Zeit in der noch wirkliche Themen besprochen wurden und es keine Konflikte gab.
Mit wachsenden Zugriffszahlen kamen aber auch die. Wie üblich in virtuellen Gästebüchern und Foren nutzten einzelne NutzerInnen ihre Anonymität aus, um andere zu beschimpfen und zu beleidigen. Es gab erbitterte Auseinandersetzung über die Qualität von einzelnen Partys und deren Veranstalter. - Die indischen Partys hatten sich parallel zu theinder.net entwickelt. Seit 1996 gab es die jährliche Indian Night in Frankfurt/Main, langsam kamen neue dazu und mit dem Indienboom wurden es immer mehr. Diese konnten nun auch über theinder.net werben. Es erschienen Partyberichte und -fotos. In den Foren und Gästebuch wurden sie besprochen. - Auch die von den Eltern bekannten Auseinandersetzungen zwischen Nord- und Südindern flammten immer mal wieder auf. Dabei war gerade die Überwindung dieser regionalen Differenzen eines der Ziele der theinder.net-Redaktion. Sie versuchte daher durch Zensur und dem Löschen von Einträgen, die Qualität der Diskussionen zu wahren. Irgendwann war dies aber nicht mehr möglich, die Redakteure kamen gar nicht mehr nach und so wurde im Sommer 2003 (vorerst) endgültig das Gästebuch geschlossen.
Gleichzeitig war die Redaktion ständig darum bemüht, ihr Internetportal weiterzuentwickeln. Mittlerweile betreut eine zwölfköpfige Redaktion zwölf thematische Rubriken von Nachrichten und Medien bis Humor und einige Sonderthemen. Die Redaktion hat selber eine Party und ein Fußballturnier offline organisiert. Sie haben exklusiv über die Miss India Germany Wahlen 2003 berichtet. Sie machen das alles so erfolgreich, dass deutsche Medien sie als ernsthafte Informationsquelle für Indien betrachten. Im Rahmen des Indienbooms wurden sie immer wieder interviewt und als Experten zitiert. Sie scheinen immer mehr ihrem Anspruch, die Internetplattform für Indien in Deutschland zu sein, zu genügen.
Dabei bleibt es nach wie vor ein rein freiwilliges Projekt. Die Redaktion geht inzwischen zwar professioneller vor, schließt Werbeverträge und ähnliches ab. Nach eigener Auskunft reichen die Einnahmen aber noch nicht, um die eigenen Kosten für Serverplatz, Fahrtkosten, etc. zu decken. Keiner der jungen Redakteure und Redakteurinnen hat eine journalistische Ausbildung. Sie alle machen theinder.net in ihrer Freizeit und müssen sehen, dass ihr Studium oder ihre Berufstätigkeit darunter nicht leidet. Da bleibt keine Zeit, weiter journalistische Standards auszubilden und intensive Recherchen zu machen. Auch hindu-nationalistische Rhetorik hat immer wieder Platz auf der Seite, da die anderen sie nicht als solche erkennen. Die selbst gesetzte politische Neutralität wird damit immer wieder untergraben.
Die NutzerInnen aber halten theinder.net für ein professionelles journalistisches Angebot. Das professionelle Design, Kontinuität und Aktualität scheinen dies zu untermauern. Mit diesem Anspruch treten die NutzerInnen auch an die Redaktion heran. Sie fordern Aktualität, schnelle Reaktionen, schicken auch schon mal eine Bewerbung und sie vertrauen der Information auf der Seite. Ein typisches Problem für das Internet. NutzerInnen haben wenig Möglichkeit, hinter die Oberfläche der html-Seiten zu schauen. Entweder sie trauen der Seite oder nicht. Einfache Kriterien für das eine oder andere gibt es nicht.