Veröffentlichungen von Urmila Goel

Eine Indo-Deutsche in Pakistan
Eine Reise mit und gegen Vorurteile

erschienen in: DIG Mitteilungsblatt 2/2003, 14-15. (abgedruckt in Indien-Newsletter, Ausgabe 10.05.2004, www.indien-newsletter.de - Text als pdf)

Als Indo-Deutsche fährt frau mit vielen Vorurteilen nach Pakistan. Erstens ist es gefährlich in Pakistan. Zweitens werden Frauen dort unterdrückt. Und drittens wird man da als Inderin nicht gerne gesehen. Soweit einmal die wesentlichen Warnungen. Ob frau will oder nicht, sie brennen sich ein und lassen ihre Spuren. Ein bisschen unwohl wird es mir schon vor der Abreise. Werde ich auch wieder heil zurückkommen? Lieber noch eine dupata mehr einstecken, damit ich mich auch bedecken kann. Und wie wird das mit meinem Namen sein, der weist mich schliesslich eindeutig als Inderin aus? Mit diesen Gedanken bepackt, richtet sich meine ganze Aufmerksamkeit in Pakistan dann auch darauf, ob denn wohl die Vorurteile alle stimmen.

Kaum in Islamabad angekommen, versuche ich die Lage einzuschätzen. Kann man sich hier auf die Strasse trauen? Lauern an den Strassenecken bärtige turbantragende Männer mit Maschinengewehren? Auf dem Flughafen sind vielleicht ein paar mehr bewaffnete Sicherheitsleute als an anderen. Sie tragen Waffen aber keine Bärte. Im Hotel dann ein Sicherheitscheck wie am Flughafen. Dass heisst alle müssen durch einen Metalldetektor gehen. Ob es piepst oder nicht, interessiert eigentlich keinen, keiner wird angehalten. Auf dem Dach steht wieder schwer bewaffnetes Sicherheitspersonal. Das gleiche im Hotel in Peshawar. Da suche ich aber vergeblich nach dem im Reiseführer angepriesenen Schild „Personal guards or gunmen are required to deposit their weapons with the Hotel Security.“. Ich sehe auch keine finster wirkenden Paschtunen, die das Recht in die eigene Hand nehmen. Und bald schon schaue ich mich nicht mehr nach Sicherheitsrisiken um. Die Pakistanis wirken auch so gar nicht verängstigt. Sowohl das Spazierengehen wie Überlandfahren werden ohne weitere Bedenken unternommen. Nein, das stimmt nicht ganz. Spazieren gehen die Pakistanis genauso wenig wie die Inder. Da falle ich mit meinen absonderlichen Gewohnheiten schon auf.

Mein Blick bleibt auf die Frauen gerichtet. Sind weniger von ihnen auf der Strasse zu sehen als im Nachbarland? Sind alle verschleiert? Diese Fragen bestimmen meine Wahrnehmung. Und tatsächlich auf der Fahrt von Islamabad nach Peshawar scheinen es immer weniger Frauen zu sein, die ich am Strassenrand sehe. Je weiter wir in den Nordwesten kommen desto mehr sind voll verschleiert. So wie ich es eigentlich nur von Bildern aus Afghanistan kenne. Gänzlich unbedeckte Frauen sind in der Öffentlichkeit eigentlich nicht zu sehen. Die Studentinnen, die an der Universität von Peshawar die Interviews für das Campusradio führen, richten immer wieder die runterrutschende dupata. Manchmal dauert es eine Weile, weil sie gerade mit den Mikrofonen zu tun haben. In den teuren Hotels, im privaten Bereich, bei Besprechungen sind die Frauen eigentlich alle unbedeckt. Die Vertreterin einer NGO kommt sogar ganz indisch im Sari. In Islamabad und Lahore gibt es kaum Vollverschleierte, auch auf der Strasse sehe ich Frauen ohne jegliche Kopfbedeckung. Bei einer Hochzeit in Lahore fehlen sogar weitere Bedeckungen. Die Ärmel könnten gar nicht weniger existent sein, die Kleidung ist sehr eng anliegend. Rauchen, trinken, flirten scheint absolut normal. Da bin ich als gute Indo-Deutsche zu prüde für. Das ich meinen Kopf zu keiner Gelegenheit bedecke, stösst keinem unangenehm auf. Zumindest bekomme ich keine solche Rückmeldung. Als Gesprächspartnerin werde ich mindestens so ernst genommen, wie ich das auch in Deutschland als junge Frau werde. Im Parlament zeigen junge Abgeordnete der islamistischen MMA, dass sie sich auch vollverschleiert selbstbewusst zu Wort melden können. Und über den Nordwesten wird mir erzählt, dass ich da nur Männer am Strassenrand sehen würde, weil die Frauen schliesslich auf dem Feld arbeiten müssten, während die Männer faulenzen. - Na, wenigstens das Vorurteil ist nicht ganz widerlegt. Die Frauen in Pakistan sind schon weniger in der Öffentlichkeit präsent als in Indien. Die Ausnahmen bestätigen selbstverständlich die Regel. Je mehr, desto mehr Bestätigung.

Nun aber zum dritten Vorurteil. Wie reagieren die Pakistanis denn auf meinen Namen? Sind sie mir gegenüber verhalten, weil sie den indischen Feind wittern? Na ja, mit dem Namen ist das so eine Sache. Der Professor, der lange in Deutschland gelebt hat, germanisiert ihn erst mal und nennt mich Göhl, wahrlich kein indischer Name. Andere wollen Gül, die Rose daraus machen. Ach, diese Pakistani erkennen meinen guten bhaniya-Namen nicht auf Anhieb. Überhaupt finden sie mich recht pakistanisch. Vom Aussehen her könnte ich Pathanin sein. Und das salwar kamiz trage ich auch wie eine echte Pakistanerin. Also muss ich sie aufklären, dass ich mich gar nicht an die pakistanische Kultur anpasse, sondern selbstbewusst die indische ins Land bringe. Das finden sie interessant und fragen, ob ich denn auch Hindi kann. Die Feindschaft zwischen Pakistan und Indien sei ja auch nur von den Regierungen gemacht. Die Pakistanis mögen die Inder sehr, wird mir immer wieder versichert. Die Bemerkung eines Gesprächspartners, dass man von mir als Inderin natürlich keinen objektiven Vergleich von Indien und Pakistan erwarten kann, zeigt, dass vielleicht doch nicht alles so freundschaftlich ist. Aber er ist ja auch ein früheres Regierungsmitglied und damit – siehe oben- angeblich alleine für die Konfrontation zuständig. Die Schülerinnen der 6. Klasse einer Privatschule erwarten mich aufgeregt und freudig. Ihre Frage über Deutschland und Indien stürzen nur so über mich herein. Sie wollen alles wissen, freuen sich, dass ich da bin. In der 7. Klasse geht es da schon provokanter zu. Da schafft es die Lehrerin auch, dass die Schüler und Schülerinnen ihre Abneigung gegen Indien offen zugeben. Endlich eine offene, ehrliche und produktive Diskussion. Viel offener als ich das bisher in Indien geschafft habe. Und da habe ich, weil ich dazu gehöre, schon viel anti-pakistanisches gehört. Friede, Freude, Eierkuchen herrscht wohl auf beiden Seiten der Grenze nicht. Aber meine indische Herkunft hat mir in Pakistan sicher nicht geschadet. Sie hat mich eher näher zu den Menschen gebracht.

So ist das mit den Vorurteilen, irgendwoher kommen sie schon. Und wenn frau genug sucht, kann frau sie je nach Wunsch bestätigen oder widerlegen. Tatsache ist auf jeden Fall, dass ich gesund und munter aus Pakistan zurück gekommen bin. Ich hatte eine schöne Zeit. Und der größte Unterschied zu Indien waren die wunderbar bemalten und seltsam geformten LKWs und Busse. Da kann Indien wahrlich nicht mithalten.



© Urmila Goel, www.urmila.de 2003