Veröffentlichungen von Urmila Goel
erschienen in: Meine Welt, 23/1, 31-32. (Text als pdf)
Im April 2006 wurde ein ‚Schwarzer’ Wissenschaftler am frühen Morgen an einer Potsdamer Bushaltestelle fast tot geprügelt. Schnell wurde ein rechtsradikaler Hintergrund der Tat vermutet, bald wurde dieser wieder in Frage gestellt. Von einer rassistischen Tat sprachen nur wenige. Rassismus ist kein Begriff, der für das heutige Deutschland benutzt wird. Rassismus wird in Deutschland in der Regel mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Heute von rassistischen Strukturen in der ‚deutschen’ Gesellschaft zu sprechen, erscheint als Tabu. Zum einen sollen die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht verharmlost werden, zum anderen will sich das heutige ‚Deutschland’ von solchen Vorwürfen distanzieren.
Ob wir aber wollen oder nicht, auch die ‚deutsche’ Gesellschaft ist rassistisch strukturiert. Auch wenn Deutschland nur kurze Zeit eine Kolonialmacht war, so ist es doch durch die eigene und die europäische Geschichte kolonial geprägt. Die Kolonialgeschichte aber basiert auf Rassismus. Die ‚Weißen’ schufen sich eine Ideologie mit der die Unterdrückung der ‚Schwarzen’ legitimiert wurde. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus wurde diese Geschichte in Deutschland auch nie bewusst be- und verarbeitet. Im Gegenteil den meisten ‚Deutschen’ ist ihre koloniale Geschichte und ihre Verankerung in rassistischen Ideologien gar nicht mehr bewusst. Damit aber können rassistische Denkstrukturen weiter unreflektiert die ‚deutsche’ Gesellschaft formen. Auch wenn sich in Deutschland kaum jemand als ‚Weiß’ definiert, so werden doch andere als ‚Schwarz’ bezeichnet.
‚Schwarz’ aber bedeutet mehr als eine zugeschriebene Hautfarbe. - Die ‚Schwarzen’ haben so wenig eine schwarze Hautfarbe wie die ‚Weißen’ eine weiße. - ‚Schwarz’ und ‚Weiß’ steht für eine hierarchische Kategorisierungen von Menschen. ‚Weiße’ werden als fortschrittlich, gebildet, zivilisiert und so weiter gedacht. ‚Schwarze’ dagegen sind in unserer Vorstellung traditionell, primitiv, naturverbunden etc. Testen Sie sich selber: Welche Bilder erscheinen in Ihrem Kopf, wenn sie an ‚Afrika’ denken? Steppe? Tiere? Wenig bekleidete Menschen? Trommeln? Kriege? Hungersnot? Oder denken sie an Universitäten, SchriftstellerInnen, moderne Städte, etc.? Können Sie ein modernes Afrika überhaupt denken? Welche Länder Afrikas kennen Sie, welche SchrifstellerInnen, PolitikerInnen, etc.? Wenn ich in meinen Kopf schaue, dann entstehen da die ‚primitiven’ Bilder. Ich weiß fast nichts von Afrika. Weder in der Schule noch in den deutschen Medien wurde mir viel über diesen Kontinent vermittelt. Die deutsche Kolonialgeschichte blieb mir bis vor kurzem Verborgen. Die rassistischen Strukturen, die Deutschland gestalten, wirkten und wirken auch bei mir.
Wo nun stehen wir als Menschen, die sich biographisch mit Indien verbunden fühlen und in Deutschland leben? Von ‚Afrika’ distanzieren die meisten sich doppelt, einmal gemeinsam mit den ‚Weißen’ und dann auch aus der ‚indischen’ Perspektive, in der ‚Hautfarbe’ und ‚Zivilisation’ eine große Rolle spielt. Dass einige der ‚InderInnen’ in Deutschland auch eine ‚afrikanische’ Vergangenheit haben, dass sie oder ihre Vorfahren dort geboren wurden und aufwuchsen, ist kaum Teil des kollektiven Gedächtnisses. Die Rolle als Puffer, die die ‚Weißen’ Kolonialherren den ‚InderInnen’ im Kolonialsystem zwischen den ‚Weißen’ und den ‚Schwarzen’ gegeben haben, ist kaum bewusst und reflektiert. Ein Film wie ‚Mississippi Masala’ thematisiert zwar die ‚afrikanische’ Vergangenheit, reflektiert aber kaum die Rolle der ‚InderInnen’ im rassistischen System. In dem Film ‚Bhaji on the Beach’ wird der Rassismus der ‚InderInnen’ gegenüber den ‚Schwarzen’ im heutigen England klarer gezeigt. Die Beziehung einer ‚Inderin’ der zweiten Generation zu einem ‚Schwarzen’ ist noch schlimmer als die zu einem ‚Weißen’ wäre. Auch in Deutschland erlebe ich immer wieder eine Abgrenzung von ‚InderInnen’ gegenüber anderen ‚Nicht-Deutschen’, die in der rassistischen Hierarchie unter ihnen stehen wie ‚AsylbewerberInnen’, ‚TürkInnen’ und auch ‚AfrikanerInnen’. Häufig bekomme ich dabei das Gefühl, dass wir uns von den von den ‚Weißen’ ungewünschten ‚AusländerInnen’ abgrenzen wollen, um so von den ‚Weißen’ als gleichwertig anerkannt zu werden.
Doch das ist ein Trugschluss. Auch wenn ‚InderInnen’ in einigen Kontexten ein besseres Image in Deutschland haben als ‚AfrikanerInnen’, können sie niemals zu ‚Weißen’ werden. Sie werden von ‚Weißen Deutschen’ immer als fremd und damit auch bedrohlich angesehen werden. Egal wie sehr ‚InderInnen’ auch ihr Verhalten anpassen, wie sehr sie rassistische Hierarchien von ‚Weißen’ übernehmen und stabilisieren, sie bleiben anders. Ein - und wohl der wichtigste - Marker für ihr Fremdsein ist ‚Hautfarbe’, andere sind ‚indische’ Namen, Religion, Familienstrukturen, Verwandtschaftsbeziehungen, etc. Assimilation wird niemals voll gelingen, so sehr wir uns auch bemühen. Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy hat für die nie zu erfüllenden ‚Integrationsanforderungen’ das Bild des Wurstspringens benutzt. Bei diesem Spiel hängt die Wurst an einem Seil, das immer höher gezogen wird je näher man sich ihr nähert. Die Strategie des Kolonialsystems war schon immer teilen und herrschen. In dem einige privilegiert wurden, konnten die ‚Weißen’ Kolonialherren sich deren Unterstützung sichern und damit die anderen besser unterdrücken. Auch dies ist eine Funktion, die ‚InderInnen’ im Kolonialsystem erfüllt haben und heute in Deutschland auch wieder erfüllen.
Der Erziehungswissenschaftler Paul Mecheril führt aus, dass wir Rassismuserfahrungen nicht nur durch körperliche und verbale Gewalt machen. Das ist zwar die brutalste Form, aber bisher – zumindest die körperliche - glücklicherweise auch die seltenste. Alltäglich hingegen sind subtile Rassismuserfahrungen. Hierzu gehören zum Beispiel scheinbar harmlose Fragen über unser ‚Fremdsein’. Auch das Ausgrenzen durch das Rechtssystem und politische Debatten, zeigen uns immer wieder, dass wir nicht als dazugehörend betrachtet werden. Zudem wird unser Leben durch antizipierten Rassismus geprägt. Mecheril argumentiert, dass wir Rassismuserfahrungen auch dann schon machen, wenn wir sie für uns oder Menschen, die uns nahe stehen, befürchten müssen. Dieses Befürchten bestimmt unser Leben. Welcher junge ‚indische’ Mann würde völlig angstfrei morgens um 4 Uhr an einer ostdeutschen Bushaltestelle stehen? Wie ‚Schwarze’ wissen auch ‚InderInnen’, die als solche von ‚Weißen’ erkannt werden, dass es Orte gibt, an die sie besser nicht gehen sollten. Sie vermeiden konkrete Rassismuserfahrungen, in dem sie versuchen die Wahrscheinlichkeit dafür zu minimieren. Trotz aller Vorsicht kann es aber auch immer sie treffen. Das zu ignorieren, ist keine zukunftsweisende Strategie.
Auch ‚InderInnen’ sind in
Deutschland ‚Schwarze’. ‚Weiße’ werden sie nie werden. Daraus sollten sie die
Konsequenz ziehen, und gemeinsam mit anderen ‚Schwarzen’ und auch ‚Weißen’ gegen
den Rassismus und seine institutionelle Verankerung in Deutschland kämpfen.