Veröffentlichungen von Urmila Goel

Die Welle erreicht Deutschland - Eindrücke einer Rückkehrerin

von Urmila Goel am 18.01.05 (Text als pdf)

Aktualisierte Version des Artikels: "Der Tsunami und eine Touristin - Eindrücke einer Touristin", auf: www.suedasien.info und www.theinder.net sowie abgedruckt in: DIG Mitteilungsblatt 1/2005, 7-8 und Südasien, 4/04, 13 (als pdf).

Berliner Morgenpost, 29.12.04: „Andrea Parosanu (30) ist gestern um 15.36 Uhr mit einer Lufthansamaschine aus Frankfurt in Tegel gelandet. Die Neuköllnerin kehrte aus dem Krisengebiet zurück, hatte drei Wochen lang an der Südwest-Küste Indiens Urlaub gemacht. „Als die Flutwelle kam, war ich gerade in dem Dorf Kochi. Vier Einheimische kamen dort ums Leben.“ Die Lage am Airport Trivandrum sei aber ruhig gewesen. Andrea Parosanu sorgt sich jetzt um Verwandte, die in Phuket Urlaub machen. „Ich hoffe, sie leben. Ich habe noch nichts von ihnen gehört.““

Meine Cousine Andrea ist eine knappe Woche vor mir aus Indien zurückgeflogen. Zwei Tage nach dem Tsunami, ich saß gerade in Trissur am Computer und verfasste einen kurzen Artikel über unsere Erlebnisse, kam sie in Tegel an – und wurde von Journalisten empfangen und befragt. Was sie ihnen im Einzelnen erzählte, scheint den Journalisten nicht so besonders wichtig gewesen zu sein. Wichtiger war wohl, dass sie nun eine Augenzeugin zitieren konnten. Dass die Morgenpost in ihren Kurztext eine ganze Reihe von sachlichen Fehlern eingebaut hat, ist wohl weiter nicht bemerkenswert. Es ist aber schon interessant, dass aus der Stadt Cochin ein Dorf wurde und dort dann auch noch Einheimische umgekommen sein sollen. Seltsam ist, dass die einzige gefährliche Situation, die meine Cousine erlebt hat – auf der Fahrt zum Flughafen geriet sie mit dem Taxi in eine Hochzeitsgesellschaft, die panisch vor dem Meer floh, da sie meinten das Wasser komme wieder -, nicht erwähnt wird. Den in Gefahr waren wir sonst gar nicht. Wir haben noch nicht einmal etwas mitbekommen von dem Tsunami.

Während in Berlin die Journalisten Andreas Geschichte aufbauschten, schrieb ich:  Der Tsunami und eine Touristin - Eindrücke aus Kerala -

Diesen Bericht schickte ich dann per email an einige Verwandte und Freunde, damit sie einen Eindruck von vor Ort kriegen können. Zwei Tage vorher, nach unserer Rückkehr ins Hotel und dem ersten Blick ins Internet, hatte ich zur Beruhigung derer in Deutschland schon ein paar emails verschickt und meinen Vater angerufen. Der war ganz überrascht, dass ich mich schon wieder – ich hatte meinen Eltern erst einen Tag vorher frohe Weihnachten gewünscht - meldete. Sorgen hatte er sich keine gemacht, denn er wusste ja, dass wir an der Westküste, in Kerala sind. Außerdem wäre gemeldet worden, dass deutsche Touristen nicht betroffen seien. Ich fühlte mich schon ein bisschen doof, dass ich mich so aufgespielt hatte und blieb daher auch in meiner weiteren email-Berichterstattung eher zurückhaltend. Nur meine engsten Freundinnen in Deutschland hielt ich auf dem Laufenden.

In der nächsten Woche las ich jeden Tag neue Horrormeldungen in den indischen Zeitungen und unterhielt mich mit vielen Leuten. Mein Zug nach Delhi musste wegen Überflutung umgeleitet werden. Mitreisende erzählten, dass die Welle bis Goa geschwappt war. Eine Bekannte erzählte mir von der Spendenkampagne, die sie gerade gestartet hatten und für die ich vielleicht in Deutschland werben könne. Ich versuchte meine Freundin Ponni in Chennai zu erreichen. Sorgen machte ich mir nicht wirklich, aber ich wollte sie doch gerne hören. Das klappte nicht, aber ihre Freundin traf ich und die erzählte mir, dass es Ponni gut gehe und sie auf einem lang geplanten Kurzurlaub sei. Als wir dann endlich telefonierten, merkte ich erst, dass sich Ponni und ihre Familie sorgen um mich gemacht hatten. Erst nach zwei Tagen meldete ich mich auch bei meiner indischen Familie. Auch hier hatte ich wieder nicht dran gedacht, dass sie sich sorgen könnten. Nein, ich wollte wissen, ob es meiner Nichte gut geht. Zu deren Hochzeit waren Andrea und ich nämlich nach Delhi gereist und sie wollte ihr Flitterwochen auf Thailand verbringen. Dort war sie auch, aber nur in Bangkok. Es war ihr also auch nichts passiert, was Andrea aber bei ihrer Rückkehr noch nicht wusste. Es war keiner aus meinem Verwandten- und Freundeskreis direkt betroffen und mein Urlaub lief ganz normal weiter.

Am 2. Januar flog ich dann zurück. Mein größtes Problem waren vier Stunden Verspätung wegen Nebels in Delhi. Ich war ganz schön müde, wollte aber endlich rausbekommen, was mit meiner mail-Box ist. Seit Weihnachten hatte ich keine email, noch nicht mal spam, erhalten. Da musste irgendwas falsch gelaufen sein. Wie sich herausstellte war es ein kleines technisches Problem, dass leicht zu beheben war. Es hatte aber einige Leute in ziemlicher Unruhe gehalten. All jene Freunde und Kollegen, die sich in Indien nicht so gut auskannten wie mein Vater, hatten sich – das merkte ich jetzt – doch erhebliche Sorgen um mich gemacht. Meine wissenschaftliche Hilfskraft hatte per email dringend um ein Lebenszeichen gebeten und ich, die davon nichts wusste, hatte nicht geantwortet. Meine Nachbarn waren höchst glücklich, dass ich wieder da war. Die Töpferin, die das Hochzeitsgeschenk gemacht hatte, freute sich, das ich mich zurückmeldete. Offensichtlich war die Sorge in Deutschland wesentlich höher als unser Gefühl von Gefahr vor Ort.

Ich hörte jetzt von anderen, die so glücklich wie wir gewesen waren. Eine Freundin hatte eigentlich vorgehabt, an dem Tag des Tsunamis an der Ostküste Fotos zu machen. Aber es hatte Probleme gegeben und sie war noch in Goa. Um sie hatte ich mir eigentlich gar keine Sorgen gemacht. Es konnte doch jeden treffen. Eine Freundin hat es tatsächlich getroffen, aber auch sie hatte Glück. Ihr Hotel und ihre Sachen sind in Sri Lanka weggespült worden, aber sie konnte unverletzt entkommen und ist wieder in Berlin. Seitdem muss sie über ihre Erlebnisse berichten und kommentierte das so: „und nun mag ich bald nicht mehr über Tsunami reden ...“. Dabei würde ich ihre Geschichte doch auch gerne wissen.

 

© Urmila Goel, www.urmila.de 2005