Veröffentlichungen von Urmila Goel
erschienen in: DIG Mitteilungsblatt 2/2005, 11. (Text als pdf)
Seit dem 19. Jahrhundert ist in Indien „unnatürlicher Sex“ unter Strafe
gestellt. Die Section 377 des Indian Penal Code wurde von den britischen
Kolonialherren eingeführt und kriminalisiert alle Geschlechtsakte, die nicht der
Zeugung von Kindern dienen. Theoretisch sind davon auch verheiratete
heterosexuelle Paare betroffen, tatsächlich wird der 377 aber vor allem gegen
homosexuelle Männer eingesetzt. Ob durch 377 auch lesbische Frauen betroffen
sind, ist nicht klar. 377 geht von Penetration aus, weibliche Sexualität wird
nicht erwähnt. Auch heute noch gilt dieses Gesetz in Indien, während es in
Großbritannien schon lange abgeschafft worden ist.
In den über einhundert Jahren seiner Existenz wurden nur wenige Männer aufgrund
des 377 verurteilt. Es kommt aber immer wieder zu Verhaftungen und
Einschüchterungen. Polizisten führen Razzien durch, bei denen sie schwule
Männer, Hijras oder Kothis festnehmen. Diese werden dann häufig misshandelt,
müssen Bestechungsgelder zahlen oder werden vergewaltigt. Der 377 ist zudem eine
staatliche Legitimation der gesellschaftlich verbreiteten Homophobie. Eltern
versuchen ihre Kinder mit Verweis auf den 377 zu einem heterosexuellen Leben zu
zwingen. Immer wieder kommt es zu einer erzwungenen psychiatrischen Behandlung,
da auch viele Mediziner davon überzeugt sind, dass Homosexualität heilbar ist.
Dabei werden neben therapeutischen Gesprächen auch Medikamente und
Elektroschocks, zum Teil jahrelang angeordnet. Dieser Zwangsbehandlung sind
Homosexuelle bisher weitgehend schutzlos ausgeliefert. Als ein Fall vor die
National Human Rights Commission gebracht wurde, wiesen sie diesen ab. Einer der
Verantwortlichen wurde zitiert mit: „Homosexuality is an offence under IPC,
isn't it? So do you want us to take cognizance of something that is an offence.”
Gegen diese klare Verweigerung von fundamentalen Menschenrechten für Angehörige
sexueller Minderheiten haben sich jetzt verschiedene Organisationen
zusammengetan. In dem Verbund „Voices against 377“ arbeiten Menschenrechts-,
Frauen- und Kinderrechtsgruppen mit der homosexuellen Bewegung zusammen. Sie
alle haben erkannt, dass es hierbei nicht nur um Rechte von „abnormalen“
Menschen geht, deren individuelle Freiheit eingeschränkt wird. Die Verweigerung
der sexuellen Selbstbestimmung und eines Lebens in Sicherheit ist ein Eingriff
in die Menschenrechte. Voices against 377 fordert die Abschaffung der Section
377 des IPC. Anstatt ihrer fordern sie ein modernes Gesetz gegen
Vergewaltigungen und Kindesmissbrauch. Beide Delikte werden bisher auch durch
den 377 abgedeckt, dies allerdings nur unzureichend.
Die Regierung hat bereits einmal die Abschaffung des 377 mit der Begründung
abgelehnt, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen Homosexualität ist. Voices
against 377 hält dagegen, dass es die Aufgabe der Regierung ist die
verfassungsmässigen Rechte auch gerade von Minderheiten zu garantieren. Der
Verbund hat im Dezember 2004 die Kampagne „Million voices against 377“ in Delhi
gestartet. Auf indienweiten Veranstaltungen sollen Stimmen für die Abschaffung
des 377 gesammelt werden.
Links und Literatur zum Thema auf
www.urmila.de/indien
Call for Paper „Queer South Asia“ des Südasien Informationsnetzes eV:
www.suedasien.info