Sommersemester 2005 - Andere Deutsche - Migration und hybride Identitäten
Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder
Dozentin: Dr. Urmila Goel, viadrina@urmila.de
Mehr Informationen auf www.urmila.de/viadrina

Die Studierenden des Seminars Andere Deutsche - Migration und hybride Identitäten beobachten seminarbegleitend "Andere Deutsche" an virtuellen oder physikalischen Orten. Auf dieser Website werden ihre unredigierten Feldwochenberichte online gestellt. Es sind erste Versuche der Feldbeobachtungen und haben nicht den Anspruch fehlerfrei zu sein. Bei Fragen und Kommentaren wenden Sie sich bitte an die Seminarleiterin Dr. Urmila Goel.

Feldbeobachtungen von Uta Holsten

Polnische Jugendliche in Berlin

13.06.05:

Mittwoch, 1. Juni 14.00

Treffen im Eiscafé. Ergiebiges Gespräch mit M, S und K (drei Mädchen).

Zunächst nur M. Um ggf. nicht allein das Gespräch führen (zu müssen), schickt sie ihrer Freundin eine SMS, die ganz in der Nähe sein soll. Aber S und K kommen, treffen zwei weitere Mädchen im Café aus ihrer Klasse, die sich zunächst mit an den Tisch setzen. S und K gehen in eine Klasse, sind sehr gute Freundinnen, M geht weiter südlich zur Schule, kennt K und S nur aus dem Firmungskurs. Zunächst eine persönliche Vorstellung wobei ich stets zu den einzelnen Punkten von einer jeden Informationen einfordere. Die drei nehmen sehr große Rücksicht auf die Sicherstellung der Aufnahme, reden sehr diszipliniert und einwandfrei deutsch. Alle drei machen einen sehr selbstbewussten Eindruck.

Obwohl mitunter Gesprächscharakter herrscht gibt es kaum Meinungsverschiedenheiten. Die eine bestätig, die zweite ergänzt, etc.

Meinerseits gezielte Nachfragen / Fragen zu bestimmten Punkten. Gegen Ende deutet sich an, dass zumindest eine der Schülerinnen eine thematisch andere Vorstellung von dem Gespräch hatte. In der Situation wird mir nicht klar, wo das Missverständnis liegt. Erst im Nachhinein (Rekonstruktion der `Anwerbung´) meine ich das Missverständnis nachvollziehen zu können.

Insgesamt stellen die drei ihre Lebenssituation – ein Pendeln zwischen Berlin und einem vertrauten Ort in Polen, der häufig(er) aufgesucht wird, anschaulich dar - , formulieren eigene Fragen zu dieser Situation.

Transkription der Gesprächsaufnahme folgt. Die `Feldbeobachtung´ ist hiermit abgeschlossen.

05.06.05:

Mittwoch, 1. Juni 14.00

Treffen im Eiscafé. Ergiebiges Gespräch mit M, S und K (drei Mädchen). Stellen ihre Lebenssituation zwischen Berlin und einem vertrauten Ort in Polen, der häufig(er) aufgesucht wird, anschaulich dar, formulieren eigene Fragen zu dieser Situation, etc.

Transkription der Gesprächsaufnahme folgt. Die `Feldbeobachtung´ ist hiermit abgeschlossen.

26.05.05:

Donnerstag, 26. Mai 2005; 17.00h

Anfrage in einer dritten Firmungsgruppe:

Nach der Stunde (Ablauf siehe oben) nochmals die Frage durch den Pater „Wer wäre bereit...?“ Ein Junge meldet sich zunächst als einziger, ein zögerndes Mädchen spreche ich an, schließlich melden sich viere.  Alle vier äußern den Wunsch, ein gemeinsames Treffen zu verabreden. Ich weise auf das Problem der Gesprächsaufnahme hin; wir einigen uns auf ein `diszipliniertes´ Gespräch. Mir ist klar, dass das schwierig werden wird. Andererseits kann ein Gespräch in der Gruppe viele gegenseitige Anstöße bieten. (Treffen für kommenden Mittwoch in einem Eiscafé.)  

Verzicht auf `Besuch in einer vertrauten Umgebung´ aus (mittlerweile) Zeitgründen.

21.05.05:

Freitag, 20.5.05 (in Berlin waren bis Do-abend Ferien)

Telefonische Absage einer der Jugendlichen (die Schule wird einer Hospitation nicht zustimmen; für ein Interview sei sie zeitlich zu sehr ausgelastet.)

Bei den beiden anderen kann ich zunächst nur eine Nachricht auf dem Handy hinterlassen.

14.05.05:

Mittwoch, 11. Mai 2005; 17.00h  Firmungsgruppe bei Pater M.

Zehn Jugendliche (drei J., sieben M.) sitzen in einem kleinen Raum um einen großen Holztisch versammelt. Es herrscht eine lockere, bisweilen fröhliche Stimmung; Gespräche (in polnisch) zunächst über den Alltag der Jugendlichen, die anstehenden kurzen Ferien.

Der `Unterricht´ beginnt mit einem gemeinsamen Gebet, dann sagt der Pater einige Worte zu meiner Anwesenheit auf polnisch, gibt dann das Wort an mich.

Ich stelle mich (Studentin Viadrina FfO/ Studienschwerpunkt: das dt.pln. Verhältnis) vor, dann das Projekt im Rahmen des Seminars „andere Deutsche“, erläutere zwei Wünsche (sämtlich auf deutsch):

-         Jugendliche aus dieser Gruppe einmal begleiten zu dürfen an einen Ort, an dem sie einer Freizeit- oder sonst üblichen Alltagsbeschäftigung nachgehen (Sport, Schule, etc).

-         Nach erfolgter `Beobachtung´ ein Interview von etwa einer bis anderthalb Stunden führen zu können, während dessen die Jugendlichen ihre Situation beschreiben, aus ihrem Alltag erzählen.

 Verweis auf die Tatsache, dass ein begleitendes Studien-Tagebuch ins Internet gestellt, unter der entsprechenden Adresse von ihnen eingesehen werden kann.

Spontan bereit ist ein junges Mädchen, dann ein zweites, bei zwei weiteren, die ein gewisses Interesse zeigen, ist die Voraussetzung `in Deutschland aufgewachsen´ nicht erfüllt.

Kontakt herstellen nach der Stunde.

Während der Stunde geht es um Themen wie Abtreibung, Euthanasie, Altwerden, ... stets auf Nachfrage der Jugendlichen im Bezug auf so etwas wie die Zehn Gebote, die als Stoff der Stunde zugrunde liegen.

Mein Polnisch reicht nicht immer, um auch die Feinheiten zu verstehen, etwa die genaue Antwort auf die Frage, was denn ein junges Mädchen von 15,16 Jahren machen soll, wenn es schwanger ist, das Kind nicht aufziehen könne? Die dezenten Reaktionen der Gruppe zeigen so etwas wie eine Distanzierung zu einer solch möglichen Situation. `Was ist mit Verhütungsmitteln?´ fragt ein später gekommener Junge (gemeinsam mit zwei Kollegen) auf deutsch. (Antwort des Pater entgeht mir.)

Deutsch redet dieser Junge zunächst bewusst (`mir steht auch die Schule bis hier´ fährt sich mit der Hand über die Stirn), so scheint es, was aber nicht weiter beachtet wird. Erst später, als er sich intensiver an den Gesprächen beteiligt, wechselt er ins Polnische.

Da sich letztlich nur zwei Jugendliche bereit erklärt haben (wir tauschen Adressen aus, fassen erste Beobachtungsräume ins Auge), bitte ich den Pater auch in der morgigen Gruppe mein Anliegen vortragen zu dürfen. (Do, 13.5. 17.00h)

Donnerstag, 12.5. 17.00h  Firmungsgruppe

(2 J, 7M) Stimmung zu vergleichen mit der am Mittwoch. Alltagsgespräche, Organisatorisches, der Pater erklärt auf polnisch, warum ich dort sitze (Proteste der Gruppe); anschließend erkläre ich auf deutsch erneut das Vorhaben. Zunächst Schweigen, dann fragt eine Schülerin, ob ich mit in die Schule kommen würde (für die `Beobachtung´). „Begleiten würde ich euch gern an einen Ort, an dem ihr euch wohl fühlt, ein Ort an dem ihr etwas macht, was euch Spaß macht.“  „Ich überlege mal“ ist die Antwort dieser Schülerin.

Während der Stunde geht es um die selben Inhalte wie am Tage zuvor, die Schüler stellen auch hier Fragen aus dem Alltag. Im Zusammenhang `Sterbehilfe´ taucht die Frage auf, ob jemandem Sterbehilfe gewährt werden darf, der schon lange im Koma liegt.

Mit einer Schülerin kann ich ein Treffen am 30.5. vereinbaren (Hospitation im Schulunterricht). Sie fragt nach, ob ich in Frankfurt studiere, das scheint bei ihr ein gewisses Interesse zu wecken. Sie unterscheidet sich in ihrer Bereitschaft sehr von den anderen, die geradezu `scheu´ reagieren.

Mit dem Pater vereinbare ich, dass ich zunächst mit den drei Schülerinnen beginnen werde, dann aber, in einem Monat etwa, gern noch einmal wiederkäme, um ggf. in einer weiteren Gruppe nachfragen zu können.

09.05.05:

Montag, 2. Mai  10.30h

Sprechstunde des Paters; Vortragen meines Anliegens nach wenigen Sätzen polnisch auf deutsch (Studentin an der Viadrina, Studien-Schwerpunkt: deutsch-polnisches Verhältnis, Seminar zum Thema `Andere Deutsche´, d.h. Jugendliche nicht deutscher Herkunft, die hier aufgewachsen sind, für eine Beobachtung /ein Interview gesucht)

Große Aufgeschlossenheit von Seiten des Paters. Einmal die Zwischenfrage: „warum diese Jugendlichen? Die sind hier aufgewachsen, sprechen deutsch?“  Antwort: „Genau diese Jugendlichen wollen wir beobachten. Gibt es dennoch ein `Wandeln´ zwischen verschiedenen Kulturen?“

Die Jugendlichen, die in drei Gruppen hier von der polnisch-katholischen Gemeinde auf die Firmung vorbereitet werden, kommen di,mi,do-nachmittags 17-18h, sind um die 15 Jahre alt.

Ein anderer Pater leitet diese Gruppen. Werde gebeten, mich direkt an diesen Pater zu wenden, um die Details zu besprechen.

Dienstag, 3. Mai  18.30h

Telefonat mit dem Pater, der die Firmungsgruppen leitet, bezugnehmend auf das Gespräch mit dem leitenden Pater der katholischen Gemeine am gestrigen Montag. Aufgeschlossenheit, unkomplizierte Verständigung bis hin zu einer Unterstützung für das Vorhaben in Form praktischer Tipps für das weitere Vorgehen von Seiten des Paters nehmen mir anfängliche Bedenken: erster Termin für die Hospitation einer Firmungsgruppe am Mittwoch, den 11.5. kurz vor 17.00h.

Anmerkung zu den Bedenken: Der Katholizismus in Polen ist die einzige wirkliche Hürde, die sich mir mitunter im Kontakt zu Polen stellt. Als `gelernte´ aber auch überzeugte Atheistin spüre ich in dem Moment das Bedürfnis eine gewisse Distanz herzustellen, wenn in meiner Gegenwart eine ganz spezifische Hingebung in Form einer katholischen Glaubenspraxis oder aber eine in meinen Augen kritiklose Berufung auf die katholische Kirche, den Papst, etc. erfolgt.

Im Gespräch mit polnischen Frauen (1. Generation) vor ungefähr zwei Jahren, die jeweils eine erfolgreiche berufliche Karriere hier in Berlin eingeschlagen haben, wurde mehrmals betont, dass ein Kontakt zu der hiesigen katholischen Gemeinde nicht bestehe.

Vermutet hatte ich somit innerhalb dieser Gemeinde eine gewisse Zurückgezogenheit in vertrautes polnisches Miteinander vorzufinden, bzw. im Umkehrschluss eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem deutschen Alltag. Mein erstes Vorurteil ist ausgeräumt. Die unkomplizierte Bereitschaft, das Vorhaben zu unterstützen, minimiert die `katholische Hürde´.

02.05.05:

Erste Kontaktaufnahme zum `Beobachtungsraum´

19.04.05: St. Johannes Basilika in der Lilienthalstraße in Berlin-Kreuzberg

            Übersicht über verschiedene Jugendgruppen/Kontaktadressen

22.4.05: Telefonat mit Frau B.S. : Frau S., die selbst eine Jugendgruppe leitet, erläutert mir die Umstände, die seit dem Zusammenzug ( Ende 2004) der deutschen und der polnischen Gemeinde unter dem Dach der St. Johannes Basilika, vorzufinden sind: Die sehr große polnische Gemeinde (ca. 1000 Mitglieder) und die kleine deutsche Gemeinde (ca. 120 Mitglieder) arbeiten getrennt voneinander, müssen sich erst mit der von `oben´ getroffenen Entscheidung arrangieren. Die meisten Veranstaltungen (Messen, Jugendgruppen) finden getrennt voneinander statt. Sie verweist mich an den Pater der polnischen Gemeinde.

3. Definition Mecherils angewandt auf die Gruppe der polnischen Jugendlichen im Alter von etwa 15 bis 20 Jahren:

„Menschen, die wesentliche Teile ihrer Sozialisation in D absolviert haben und die Erfahrung gemacht haben und machen, aufgrund sozialer oder physiognomischer Merkmale nicht dem fiktiven Idealtyp des oder der `Standard-Deutschen´ zu entsprechen.“

Viele polnische Immigranten waren im Zuge der Unruhen in Polen 1980/81 gezwungen hier (in Berlin) zu bleiben. Diejenigen, die trotz späterer Rückkehrmöglichkeiten geblieben sind, hier eine Existenz gegründet haben, haben teilweise Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind, d.h. `die Sozialisation in D absolviert´ haben.

Physiognomisch `andersartige´ Merkmale fallen i.d.R. weg. Die Sprache ist ein `Erkennungsmerkmal´; im Gegensatz etwa zu den türkischen Jugendlichen fällt die Zweisprachigkeit auf.

Erfahrungen hinsichtlich der Entsprechung des `Idealtypus Standard-Deutscher´ sollen in Erfahrung gebracht werden. (`Habitus´; P. Bourdieu ????)

Möglich wäre der Zugang zu den hier sozialisierten Jugendlichen über eine allgemeinbildende Schule; doch ich wähle zunächst bewusst den Zugang über die katholische Gemeinde.

4. Kontaktaufnahme: 27.04.05, 17.30h: Sprechstunde des Paters

Vortragen meines Anliegens auf polnisch. Ich möge am Samstag anrufen, der Pater sei persönlich im Moment nicht zu sprechen.

30.04.05, 10.00 u. 11.30h: jeweils vergeblicher Versuch, sollte ich am Montag in der Sprechstunde erneut keinen Erfolg haben, werde ich mich noch einmal an Frau S. wenden.

(Auf ihren Hinweis, freitagabends träfe sich in der St. Johannes Basilika eine internationale Jugendgruppe, die eine Messe von 20.30 bis 22.00h abhält, gehe ich am 29.04.05 `vorbeigucken´: Ein Wechsel aus Gesang mit Gitarrenbegleitung, langen Andachtsphasen, nebenher das Abnehmen von Beichten; mir als Atheistin bleibt diese `Runde´ gänzlich fremd.)

17.04.05:

Knapp 30 000 polnische Bürger leben – offiziell – in Berlin. Nach den Türken und den Jugoslawen stellen sie damit die drittgrößte ausländische Gemeinde in Berlin dar. Nicht mitgerechnet in o.g. Zahl sind hier etwa Aussiedler aus Polen mit einem deutschen Pass oder aber zahlreiche nicht registrierte Polen (Touristenvisum, temporäre Arbeitnehmer).

Es hat verschiedene Wellen der Auswanderung von Polen nach Deutschland bzw. Berlin gegeben. Eine dieser Wellen bewegte sich im Zuge der Solidarnosc-Unruhen seit 1980 in Richtung Westen. Zu damaliger Zeit, d.h. im Klima des Kalten Krieges, wurden `Flüchtlinge´ aus dem kommunistischen Osten bereitwillig `aufgenommen´, Integration im heute diskutierten Rahmen wurde `vorausgesetzt´.

Anders sah dies schon bei der Aussiedlerwelle im Zuge des Mauerfalls aus. Zahlreiche Kinder sprachen kein deutsch, die Lebensperspektiven geben inzwischen relativ wenig Anlass zu Optimismus, so dass viele dieser Kinder und Jugendlichen sich mit einer Integration schwer tun.

Integration ausländischer Kinder hat in der (Berliner) Schule immer eine Rolle gespielt, je nach tagespolitischer Lage wurde eine bestimmte Gruppe verstärkt in Augenschein genommen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es Probleme mit Kindern polnischer Herkunft eher vereinzelt gab. Es handelte sich dann um spezifische Probleme, etwa trotz guter Leistungen partout keinen Anschluss an die Klassengemeinschaft zu finden.

Im allgemeinen fallen die Bürger polnischer Herkunft, die hier wohnen und arbeiten, nicht auf etwa durch ihr Äußeres, durch abweichendes Verhalten. Ggf. sind sie über die Sprache zu erkennen.

Für die vorgesehene Feldbeobachtung innerhalb des Seminars beabsichtige ich, Kontakt zu jungen Polen aufzunehmen, die hier geboren und aufgewachsen sind, kurz vor einem Schulabschluss stehen oder bereits in der Ausbildung sind.

Aus verschiedenen (s.u.) Gründen möchte ich zunächst versuchen, über die polnisch-katholische Gemeinde Zugang zu Jugendlichen dieser Altersgruppe zu bekommen.

 
 
© Urmila Goel, www.urmila.de 2005