In den 1950er und 60ern kamen ledige junge Männer aus Südasien in das deutschsprachige Europa, um dort Praktika zu absolvieren oder zu studieren (vgl. Pandey 1988, Desai 1993, Punnamparambil 1995, Dech 1999, Gosalia 2002 und Goel 2006). Viele kamen aus der urbanen Mittelschicht und waren säkular geprägt. Einige diese Männer ließen sich im deutschsprachigen Raum nieder und gründeten dort Familien. Die meisten dieser MigrantInnen haben in ihrem Alltag wenig Kontakt zu anderen, die aus Südasien nach Deutschland gekommen sind. Viele praktizieren keine Religion oder nur im privaten Rahmen (vgl. Desai 1993). Sie etablieren kaum eigene religiös-ethnische Strukturen und engagieren sich eher in ethno-natio-kulturell (vgl. Mecheril 2003) -definierten Vereinen. Nur an wenigen Orten wurden und werden Vereine zur Pflege des Hinduismus oder hinduistische Tempel gegründet (vgl. Dech 1999 und Hutter 2001). Vereinzelt entstanden urdusprachige Moscheen für Muslime aus Südasien.
Eine Ausnahme unter den Hindus aus Indien sind die Bengalis, die an verschiedenen Orten jährliche Durga Puja-Feiern etabliert haben (vgl. Dech 1999). Diese Feiern dienen nicht nur der religiösen Praxis sondern auch als ein wichtiger Treffpunkt für Bengalis. Die Kinder der bengalischen MigrantInnen werden hier nicht nur in hinduistische Rituale eingeführt, sie lernen auch andere Bengalis kennen und bauen ihre eigenen ethnischen Netzwerke auf, auf die sie später auch in nicht-religiösen Kontexten zurückgreifen können. So nutzten zum Beispiel die Gründer des Internetportals Indernet (vgl. Goel 2007a) in der Anfangszeit ihre bengalischen Netzwerke, um ihre Webseite bekannt zu machen, MitarbeiterInnen, KooperationspartnerInnen und NutzerInnen zu gewinnen.
Eine andere Gruppe, die ein eigenes ethnisch-religiöses Netzwerk im deutschsprachigen Raum aufgebaut hat, sind die christlichen Malayalis aus dem südindischen Kerala. In den 1960ern und 70ern wurden viele junge Christinnen in Kerala von katholischen Krankenhäusern und Pflegeheimen als Krankenschwestern oder Krankenschwesternschülerinnen angeworben, um den Pflegenotstand im deutschsprachigen Raum entgegen zu wirken (vgl. Goel 2008a, Punnamparambil 1995, Fischer und Lakhotia 2006, Findeis 2007). Die jungen Frauen kamen zumeist in kleinen Gruppen und wurden von der Caritas oder anderen kirchlichen Einrichtungen sowohl geistlich wie sozial betreut. Es wurden (und werden immer noch) indische Seelsorger und SozialarbeiterInnen eingestellt, um sich um ihre Belange zu kümmern. Zeitschriften für die angeworbenen Krankenschwestern und ihre Familien werden von kirchlichen Einrichtungen herausgegeben und Seminare veranstaltet. Als einige Jahre nach den Krankenschwestern ihre Ehemänner aus Kerala nachzogen, gründeten diese weitere Vereine als Treffpunkte und zur Bewahrung von kulturellen und religiösen Traditionen. Die ethnisch-religiöse Infrastruktur ist so (im Gegensatz zu der der bengalischen Hindus) dicht genug, um den Alltag der MigrantInnen und ihrer Kinder zu prägen. Viele der Kinder der Malayalis werden in ethnisch-religiösen Kontexten sozialisiert, haben eine enge (wenn auch nicht immer konfliktfreie) Bindung an die Religion und die durch sie definierte Gemeinschaft. Ihren Eltern ist es nicht nur ein wichtiges Bedürfnis, ihnen Kultur und Religion zu vermitteln, sie schaffen auch Institutionen wie Malayalamschulen, um dies zu verwirklichen. Die christliche Religion pflegen sie allerdings nicht nur in eigenen ethnisch-religiösen Gemeinden, viele der Malayalis besuchen auch Gottesdienste der Dominanzgesellschaft und arbeiten in deren Gemeinden mit. Im Gegensatz zu den Angehörigen anderer ‚südasiatischer’ Religionen können die christlichen Malayalis so über ihre Religion auch Kontakte und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu der Dominanzgesellschaft entwickeln. In Situationen aber, in denen ihre Religionszugehörigkeit nicht explizit bekannt ist, werden sie regelmäßig für Hindus gehalten und immer wieder dazu aufgefordert, über hinduistische (bzw. vermutete hinduistische) Praktiken Auskunft zu geben (vgl. Battaglia 1995).
Ein ähnlich ausgeprägtes ethnisch-religiöses Netzwerk wie die christlichen Malayalis haben auch die tamilischen Hindus (vgl. McDowell 1996, Baumann 2000, Salentin 2002, Baumann 2003, Lüthi 2003, Luchesi 2004 und Amend und Yetgin 2006) und die Ahmadiyas, die aus Pakistan zugewandert sind (vgl. Ahmad 1988, Marx 1993 und Schneider 1995), aufgebaut. Diese beiden Gruppen sind allerdings im Gegensatz zu den Malayalis als AsylbewerberInnen nach Europa gekommen. Viele leben dauerhaft mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus und haben nur sehr eingeschränkt Zugang zu sozialen und ökonomischen Ressourcen. Ihre ethnisch-religiösen Netzwerke spielen vor diesem Hintergrund von Unsicherheit und Marginalisierung eine existentiellere Rolle als für die christlichen Malayalis. Die Kinder der MigrantInnen sind häufig eng in die Netzwerke eingebunden, praktizieren die jeweilige Religion, definieren sich über sie und versuchen kulturellen Traditionen zu folgen. Die Ahmadiyas erfahren dabei im deutschsprachigen Raum eine mehrfache religiöse Ausgrenzung. Zum einen sind sie von Seiten der Dominanzgesellschaft (und auch von Seiten der nicht-muslimischen MigrantInnen aus Südasien) islamophober Abwertung ausgesetzt, zum anderen werden sie von anderen Muslimen nicht als Muslime akzeptiert.
Auch turbantragende junge Sikhs erfahren im deutschsprachigen Raum immer wieder islamophobe Ausgrenzung, da sie für Muslime gehalten werden (vgl. Nijhawan 2006). Sikhs sind zum einen während des gewalttätigen Konflikts im indischen Punjab als AsylbewerberInnen in den deutschsprachigen Raum gekommen, zum anderen sind Sikhs aus Afghanistan vor dem Bürgerkrieg und religiöser Ausgrenzung nach Europa geflohen (vgl. Goel 2008c). Die indischen Sikhs hatten dabei kaum Chancen auf Asylgewährung, da ihnen Fluchtalternativen in Indien unterstellt wurden. Sikhs aus Afghanistan haben bessere Chancen als Asylberechtigte anerkannt zu werden, aber auch ihr Aufenthaltstatus ist häufig ein eher unsicherer. Beide Gruppen haben ihre eigene ethnisch-religiöse Infrastruktur aufgebaut und in diese auch ihre Kinder eingebunden. Dabei pflegen die afghanischen Sikhs auch enge Beziehungen zu afghanischen Hindus.
Dieser kurze und unvollständige Überblick über die Etablierung ‚südasiatischer’ Religionen im deutschsprachigen Raum illustriert, wie heterogen diese erfolgt ist, und wie eng sie mit den jeweiligen Migrationsumständen und der darauf folgenden rechtlichen, ökonomischen und sozialen Verortung in der Dominanzgesellschaft verbunden ist. Der Grad der religiösen Prägung der Kinder der MigrantInnen variiert daher stark. Einige sind in ethnisch-religiöse Netzwerke eingebunden, andere gar nicht. Für einige ist Religion ein starker Identifikationsfaktor, für andere nicht. Gemeinsam ist allen aber, dass sie von Seiten der Dominanzgesellschaft bestimmten Bildern über ‚südasiatische’ Religionen (und deren Rückständigkeit) ausgesetzt sind (vgl. Goel 2007b und Mecheril 2003). Zu beobachten ist, dass Zugehörigkeit sowohl zur Dominanzgesellschaft wie zur ethnischen Gruppe auch über (vermutete) religiöse Zugehörigkeit verhandelt wird.