Forschungsprojekte von Urmila Goel/ Religion

Über das Sprechen über die Religion der Anderen

Ethnographische Annäherungen

veröffentlicht in: Allenbach et al. (2011, Hg.), Jugend, Migration und Religion - Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden: Nomos, 289-318

Anmerkung: In dieser Online-Version fehlen die Fußnoten und die Formatierungen der Originalversion, dazu bitte die gedruckte Version ansehen.

Gliederung

  1. Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft über die Religion der Anderen
  2. Migrant_innen aus Indien über Religion und die Erziehung ihrer Kinder
  3. Die Kinder von Migrant_innen über Religion
    1. Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit
    2. Ganz normal
    3. Reflexive Auseinandersetzung mit Religion
    4. Hinduismus praktizieren
    5. Die Bedeutung von Durga Puja
    6. Ehe und Familie
  4. Sprechen über die Religion der Anderen
  5. Bibliographie

Im deutschsprachigen Raum leben einige Zehntausend junge Menschen, von denen zumindest ein Elternteil aus Südasien zugewandert ist (vgl. Brosius und Goel, 2006). Sie wachsen in säkularen Gesellschaften auf, die durch das Christentum geprägt sind, und kommen auf unterschiedliche Arten mit Religionen aus Südasien in Kontakt. Zum einen werden sie mit Vorstellungen der Dominanzgesellschaft (vgl. Rommelspacher, 1998) über diese Religionen konfrontiert und ihnen bestimmte religiöse Zugehörigkeiten zugeschrieben. Zum anderen werden sie in ihren Familien zu sehr unterschiedlichen Graden religiös geprägt und sind zum Teil in ethnisch-religiöse Netzwerke eingebunden. Ziel meines Forschungsprojekts war es zu analysieren, welche Rolle Religionen aus Indien für die Kinder von Migrant_innen aus Indien spielen. Insbesondere wollte ich aus einer rassismuskritischen Perspektive (vgl. Mecheril, 2003) betrachten, wie Gefühle von (Nicht-)Zugehörigkeit zu der über die migrierten Eltern definierten natio-ethno-kulturellen Gruppe und zur Dominanzgesellschaft durch religiöse Prägungen und Zuschreibungen befördert oder behindert werden. Dabei sollte der Schwerpunkt der Analyse nicht auf den religiösen Praxen an sich, sondern auf der Bedeutung der Zuschreibungen und Netzwerke für die gesellschaftliche Verortung der jungen Menschen im deutschsprachigen Raum liegen.

Dem Forschungsprojekt zugrunde lag eine eher skeptische Einstellung gegenüber der Bedeutung von Religion für junge Menschen im deutschsprachigen Raum, die zumindest einen Elternteil aus Indien haben. Ich gehöre selbst zu den Menschen, die dieser Kategorie zugeordnet werden, wuchs in einem areligiösen Elternhaus und ohne Religionsunterricht in der Schule auf, in meinem Umfeld spielte Religion nie eine Rolle und so thematisierte ich sie in meiner Forschung bisher auch nur am Rande. Im Laufe meiner Interviews und teilnehmenden Beobachtung für dieses Projekt stellte ich aber fest, dass wenn ich meinen Interviewpartner_innen Raum dafür geben, über Religion zu sprechen, viele (wenn auch nicht alle) viel dazu zu erzählen haben. Daher steht dieser Artikel nicht alleine unter dem ursprünglich geplanten Thema (Nicht-)Zugehörigkeit, sondern stellt das Sprechen über Religion und die vielfältigen Themen, die dabei aufkommen, in den Mittelpunkt.

Eine Gefahr liegt dabei darin, durch meine Analyse und Präsentation festschreibende Kategorien von Menschen aus Indien bzw. mit Eltern aus Indien herzustellen (vgl. Mecheril et al., 2003). Die Konstruktion solcher Kategorien ist bereits in der Forschungsfrage angelegt, da durch sie eine Relevanz der Unterscheidung indisch und nicht-indisch hergestellt wird (vgl. Riegel in diesem Band). Sie wurde durch die konkrete Durchführung des Projektes noch verstärkt, da ich in diesem weitere Unterkategorien von Menschen aus Indien eingeführt habe. Die Untersuchungsgruppen meines Projektes beschrieb ich im Forschungsantrag mit«bengalische Hindus: junge Menschen, die im deutschsprachigen Raum sozialisiert wurden und von denen zumindest ein Elternteil aus Bengalen stammt und sich als Hindu identifiziert» und «christliche Malayalis: junge Menschen, die im deutschsprachigen Raum sozialisiert wurden und von denen zumindest ein Elternteil aus Kerala stammt und sich als Christ_in identifizieren».Ausgewählt hatte ich diese, weil ich bei Interviews und teilnehmender Beobachtung von vielen Menschen mit der Selbstbezeichnung Bengali oder Malayali erfahren hatte, dass für sie der Hinduismus bzw. das Christentum eine grosse Rolle spiele. Im Sinne von Mecheril (2004: 85) nutze ich die Bezeichnungen Bengali und Malayali hier als «Werkzeug[e] der Konzentration, Typisierung und Stilisierung» die Beschreibung real existierender Gruppen. Ich bleibe damit allerdings in der rassistischen Unterscheidungslogik zwischen Zugehörigen und Nicht-Zugehörigen (vgl. Mecheril und Melter, 2010: 156) und laufe Gefahr, dass meine Leser_innen durch meine Fokussierung dazu verleitet werden, Bengalis und Malayalis als homogene und real existierende Personengruppen zu verstehen (vgl. Mecheril, 2004). Zudem verharre ich in dem, was Mecheril et al. (2003: 108-109) die zyklopische Tendenz nennen. Ich betone die Bedeutung von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit (vgl. Mecheril, 2003) und vernachlässige andere Differenzierungs- und Analysemöglichkeiten (vgl. Riegel in diesem Band).

Ziel dieser Konstruktion, Betonung und Verzerrung in diesem Artikel ist es, mittels einer ethnographischen Annäherung einen Eindruck davon zu bekommen, wie komplex natio-ethno-kulturelle Zuschreibungen und Religion im deutschsprachigen Raum verwoben sind. Dazu werde ich erst beschreiben, wie Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft über die Religion der als Andere Konstruierten sprechen und dies dann im zweiten Teil mit dem Sprechen von Migrant_innen kontrastieren. Im dritten Teil werde ich dann ausführlich auf verschiedene Aspekte des Sprechens über Religion bei den Kindern der Migrant_innen eingehen. Mit der Bezeichnung Kind verweise ich dabei darauf, dass die so kategorisierten Menschen (überwiegend) nicht selbst migriert sind. Sie sind im deutschsprachigen Europa aufgewachsen, unterscheiden sich aber von anderen dort aufgewachsenen Menschen unter anderem dadurch, dass zumindest ein Elternteil von ihnen aus Indien zugewandert ist. Zum Teil spreche ich von diesen Menschen auch als Jugendliche. Dabei beziehe ich mich auf eine Bezeichnungspraxis, auf die ich bei teilnehmender Beobachtung und in Interviews immer wieder gestossen bin. Sowohl die Migrant_innen wie ihre Kinder tendieren dazu, alle, die im deutschsprachigen Europa aufgewachsen sind, als Jugendliche zu bezeichnen und das unabhängig davon, wie alt sie sind. So wurde auch ich mit Ende 30 in meiner teilnehmenden Beobachtung in diese Kategorie einsortiert.

Grundlage der folgenden ethnographischen Darstellung sind zum einen im Jahr 2009 durchgeführte teilnehmende Beobachtungen bei zwei Onam- Feiern in der Schweiz, drei Malayalam6-Messen in Zürich, dem Jubiläum derMeine Welt in Köln sowie bei Durga Puja in Köln und Zürich. Zum zweiten sind es Interviews, die ich 2009 spezifisch zu Religion durchgeführt habe. Hierzu gehören Interviews bzw. Gespräche in der Schweiz mit drei Migrant_ innen aus Bengalen, einem Ehepaar aus Kerala, sechs Kindern von Bengalis und sechs Kindern von Malayalis. Hinzu kommen zwei Interviews mit Kindern von Malayalis in Deutschland, in denen es unter anderem um die Frage von Religion und Geschlecht ging, sowie viele informelle Gespräche. Zum dritten nutze ich in diesem Artikel Material aus anderen Forschungsprojekten. So habe ich Ende der 1990er Jahre drei Migrant_innen und drei Sozialarbeiter aus Kerala in Deutschland interviewt sowie seit 1998 verschiedene Veranstaltungen von Malayalis teilnehmend beobachtet, viele informelle Gespräche geführt sowie Zeitschriften und andere Publikationen analysiert (vgl. Goel, 2008). Für ein Projekt zu Staatsbürger_innenschaft (vgl. Goel, 2006) habe ich in Deutschland 1998 vier Interviews mit Kindern von Bengalis und 14 mit Kindern von Malayalis geführt. Im Forschungsprojekt zum Internetportal Indernet (vgl. Goel, 2009a und b) kamen in den Jahren 2004 bis 2006 dreizehn Interviews mit Kindern von Bengalis und neun mit Kindern von Malayalis hinzu. Dieses Material führe ich in diesem Artikel zusammen, um eine ethnographische Annäherung an das Sprechen über die Religion derer, die als natio-ethno-kulturelle Andere konstruiert werden, anzubieten. Zur Darstellung meines empirischen Materials werde ich dabei die grammatische Gegenwart benutzen.

1. Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft über die Religion der Anderen

In meinem Projekt habe ich den Fokus auf die als Andere Konstruierte gelegt. Eine Analyse des Sprechens von Angehörigen der Dominanzgesellschaft über die Religion der Anderen hatte ich nicht geplant. Bei der teilnehmenden Beobachtung sind die Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft aber von alleine in mein Blickfeld gekommen: Bei fast allen Feiern sind Repräsentant_ innen der Dominanzgesellschaft eingeladen, um Grussworte zu sprechen. Fast alle stellen das Fest, auf dem sie jeweils sind, als eines dar, das für ganz Indien steht. So sagt die Vertreterin der Stadt Köln bei Durga Puja:

Es ist mir eine ganz grosse Ehre, mit Ihnen gemeinsam diese Feier hier in Köln zu eröffnen, in dem Bewusstsein, dass dies auch Millionen und fast Milliarden kann man schon sagen, Menschen in Indien und auf der ganzen Welt tun.

Sie unterstellt damit erstens, dass alle Inder_innen Hindus sind und zweitens, dass alle Hindus in Indien und auf der ganze Welt Durga Puja feiern. Beide Unterstellungen sind falsch. Diese typische Gleichsetzung von Indien mit Hinduismus (vgl. Jacobsen und Raj, 2008: 2), findet sich auch bei dem Jubiläum der Zeitschrift Meine Welt, das von der Caritas ausgerichtet wird. Ein katholischer Würdenträger beginnt seine Rede mit:

Wir möchten zu Beginn dieser Veranstaltung einen Impuls christlich-hinduistischer Annäherungen setzen. Hier im Dom Forum treffen heute Katholiken, Christen überhaupt und auch Hindus zusammen.

Sicher werden auch Hindus unter den Zuhörenden sein. Dominiert wird der Raum aber von Christ_innen aus Indien und Deutschland. Wozu in diesem Kontext christlich-hinduistische Annäherung nötig sein soll, wird nicht weiter motiviert, sie ist aber das Hauptmotiv der Rede des Geistlichen. Einer Christin mit Eltern aus Indien übergibt er die Aufgabe, ein hinduistisches Gebet vorzulesen. Warum nicht er selbst es vorträgt, bleibt unklar. In Anlehnung an Jacobsen und Raj (2008: 1) vermute ich, dass er sie aufgrund ihres Aussehens und der Familienbiographie für authentischer hält.

Die Moderatorin der Jubiläumsfeier, eine bekannte Journalistin, scheint zu überraschen, dass Menschen aus Indien christlich sind und scheint zu vermuten, dass sie vor nicht allzu langer Zeit konvertiert sind. Den Chefredakteurder Zeitschrift fragt sie: «Seit wann ist die Familie katholisch?» Woraufhin er anfängt die Ursprünge des Christentums in Kerala zu erklären:

Ja, wie gesagt, es gibt Bücher darüber. […] wir behaupten, dass der heilige Thomas um 52 nach Indien kam und dort […] 21 Familien, bekehrt hat. Zu diesen Familien gehörte meine Familie. Wir sind die Nachkömmlinge von dieser …

Die Moderatorin wirkt überrascht bei ihrer Nachfrage: «Aus dem Jahr 52 nach Christi?» Der Chefredakteur führt seine Erklärung weiter:

Sie behaupten es, aber dafür gibt es wahrscheinlich keine echten Dokumente, aber […] es gibt Dokumente seit 400 oder so gibt es Katholizismus in Kerala und wir gehören irgendwie zu diesen alten Familien, weil wir irgendetwas getan haben für den Papst oder so was.

Worauf die Moderatorin erwidert: «Das ist ja sehr beeindruckend, dass das so lange her ist.»

In ihrer gesamten Moderation habe ich den Eindruck, dass sie von Dingen überrascht ist, die dem grössten Teil des Publikums nach meiner Erfahrung bekannt sein müssten. Sie scheint diese Alleinstellung ihrer Überraschung allerdings nicht zu merken. Ihre Normalitätsvorstellungen scheinen für sie leitend zu bleiben, das Gespräch lenkt sie immer wieder zu Themen, bei denen sie das Andersartige betont.

Ein anderes Motiv, das sich bei den verschiedenen Veranstaltungen durch die Beiträge der Repräsentant_innen der Dominanzgesellschaft zieht, ist der Verweis auf Traditionen und Bräuche, die es bei ‹uns› auch in der Vergangenheit gegeben habe und die bewahrt werden müssten. Die Migrant_innen und ihre Kinder werden immer wieder als kulturelle Andere be- und damit festgeschrieben (vgl. Kalpaka und Mecheril, 2010: 92-94). Der Verweis auf die eigene Vergangenheit und der Gebrauch der Worte Traditionen und Bräuche suggeriert, dass die Anderen weniger fortschrittlich als ‹wir› seien (vgl. Ziai 2007: 14). Zudem werden die als anders Konstruierten dazu aufgerufen in ihrem Anderssein zu verharren (vgl. Castro Varela und Mecheril, 2010: 35-38). Gleichzeitig wird behauptet, dass auf dieser Grundlage eine Integration in die Dominanzgesellschaft erfolgen könne. So führt ein Vertreter der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen beim Meine Welt-Jubiläum aus:

Nur wer seine eigene Sprache, seine eigene Kultur, seine eigene Tradition wertschätzt, kann auch das gegenüber anderen, deren Sprache, deren Traditionen, deren Geschichte machen. Das eine ist ohne das andere gar nicht möglich und ist auch ... zu wissen, wo man herkommt ist für die Integration besonders wichtig.

Böcker et al (2010) sowie Goel (2008: 64-66) stellen dar, dass dieses Versprechen nicht erfolgreich sein kann: Durch die Betonung der Andersartigkeit derals anders Konstruierten werden diese immer wieder als Andere festgeschrieben. Andere aber können nicht gleichberechtigter Teil der Dominanzgesellschaft sein, weil diese sich gerade in Abgrenzung zu den Anderen definiert.

Das ganz Andere der als anders Konstruierten wird von den Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft in den Grussworten betont, indem sie das Andere als unverständlich darstellen und eine Erklärung dieses Unverständlichen für nötig erachten. So stellt zum Beispiel ein Festredner bei Durga Puja in Köln fest: «es ist nicht ganz so leicht, zu verstehen, was dort vor sich geht.» Einige Vertreter_ innen der Dominanzgesellschaft warten nicht darauf, dass die als anders Konstruierten ihnen die Erklärung geben, sondern übernehmen diese selber. So erklärt die Vertreterin der Stadt Köln das Fest Durga Puja in einiger Ausführlichkeit und der katholische Geistliche erklärt bei dem Meine Welt-Jubiläum den Hinduismus. Sie geben sich damit selber die Definitionsmacht über das Andere und erheben sich zu Sprecher_innen für die Anderen (vgl. Wachendorfer, 2001).

Als Andere werden die so Festgeschriebenen von den Redner_innen durchaus geschätzt. So endet die Vertreterin der Stadt Köln ihr Grusswort mit:

Diese Feier ist ein grossartiges Beispiel für die Toleranz, ein alter Wert der Köllschen Mentalität, […] der nicht nur viel zitiert wird, sondern auch gelebt wird, wir sagen ‹Jeder Jeck ist anders› und das passt auch hier wieder und das ist mir ganz wichtig

und ruft zur Teilnahme am interreligiösen und multikulturellen Dialog auf. Das Eigene kann durch die dargestellte Offenheit gegenüber dem Anderen als wertvoll bestärkt und eigene Verstrickungen in Rassismus geleugnet werden (vgl. Böcker et al., 2010; Ho, 2006). Dies wird bestärkt durch immer wieder vorkommende Betonungen von Gemeinsamkeiten mit den Anderen. So wird von einigen Redner_innen ein Vergleich mit der eigenen Religiosität oder Verbundenheit zu Kultur und Traditionen gezogen. Damit wird die Dominanzgesellschaft als ebenfalls religiös und traditionsreich konstruiert und eine Abgrenzung gegenüber Nicht-Gläubigen vorgenommen. Auch gemeinsame politische Interessen werden formuliert, so betont die Vertreterin der Stadt Köln bei Durga Puja unter grossem Applaus die gemeinsame Ablehnung der offen anti-muslimischen Pro NRW:

Sie alle, die sie hier sind und dieses Fest feiern, gleich welcher Religion oder Nationalität, tragen mit dazu bei, dass ein friedliches Zusammenleben von Menschen verschiedenen religiösen und kultureller Hintergründe in Köln so erfolgreich möglich ist. Sie haben es alle mitbekommen, vor 14 Tagen ging es um Menschen anderen Glaubens, nämlich islamischen Glaubens, da hat sich die Stadt und viele Bürgerinnen undBürger dieser Stadt sehr eingesetzt, dass alle Religionen in dieser Stadt wirklich herzlich willkommen sind.

Als friedlich wahrgenommene Andere sind die bengalischen Hindus willkommen und sollen dazu beitragen, dass Bild der offenen deutschen Gesellschaft zu stützen. Nach Lanz (2009: 109-119) kann die Vertreterin der Stadt Köln damit-sowie die den meisten anderen Redner_innen - als Vertreterin eines diversitären Integrationsdiskurses angesehen werden. Im Gegensatz zu den Vertreter_innen des differentiellen Integrationsdiskurses (Lanz, 2009: 106-109) fordert sie nicht die völlige Assimilation der Anderen, sondern plädiert dafür, die Anderen in die Gesellschaft einzubinden, solange sie für diese (ökonomisch) nützlich sind. Die Festschreibung als Andere bleibt aber bestehen und damit auch das Prekäre der Anerkennung (vgl. Böcker et al., 2010).

2. Migrant_innen aus Indien über Religion und die Erziehung ihrer Kinder

Die von mir beobachteten öffentlichen Auftritte von Migrant_innen aus Indien sind anschlussfähig an jene der Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft (vgl. Goel, 2008: 64-68). Viele der Migrant_innen nehmen die gleichen Themen auf und beziehen zu ähnlichen Punkten Stellung. So setzt – wie die Vertreterin der Stadt Köln – auch der Präsident des Durga Puja-Vereins in Köln Bengalis mit Inder_innen gleich: «In diesen Tagen feiern Hindus auf der ganzen Welt das machtvolle Kommen der Durga, wir Inder in Deutschland feiern es auch.» Er betont die reichen Traditionen Indiens/Bengalens:

Wir hoffen und wünschen, dass Ihnen die kommenden fünf Tage einen kleinen Einblick geben in unsere alte, traditionsreiche Kultur mit ihren vielen Aspekten und Facetten und dass sich unsere Freude auf Sie überträgt.

Zudem stellt auch er den Gegensatz zwischen dem Eigenen und dem Fremden her: «Feste sind ein sehr wichtiger Beitrag, um auch hier in der Fremde, weit entfernt von zu Hause, ein Stückchen Heimat wieder zu finden.» Diese klare Distanzierung von Deutschland scheint allerdings dem diversitären Integrationsansatz der Vertreterin der Stadt Köln zu widersprechen. Zum Ende ihres Beitrags geht sie direkt darauf ein und wirbt für die Integration in ein Köln der Vielfalt:

Sie haben vorhin gesagt, Sie leben in der Fremde, ich hoffe, Sie leben hier nicht in der Fremde, sondern das ist auch Heimat für Sie hier in Deutschland, in Köln, und wenn Sie hier leben, ist es aber um so wichtiger, auch alte Traditionen immer wieder zu beleben und sie auch wirklich zu leben.

Auch in den Interviews mit Migrant_innen kommt es immer wieder zur Gleichsetzung von Bengalen bzw. Kerala mit Indien. Indien wiederum wird mit Kultur und Tradition gleichgesetzt, und Kultur mit Religion. Dies unterstützt Jacobsen und Rajs (2008: 4) These, dass im Migrationskontext Religion zu einem zentralen Element für die Entwicklung von Zugehörigkeit wird und mit ethnischer, kultureller und linguistischer Identität gleichgesetzt wird. Um die Bedeutung von Religion bei der Frage von Zugehörigkeit explizit zu berücksichtigen, ergänze ich im Folgenden Mecherils (2003) Begriff der natioethno- kulturellen Zugehörigkeiten um den Kontext Religion zu natio-ethnoreligio- kulturell (vgl. Mecheril und Thomas-Olalde in diesem Band zu Religion als Zugehörigkeitscode).

Aus Interviews mit Migrant_innen aus Kerala, aus teilnehmender Beobachtung und Publikationen (z.B. Meine Welt, 2008) schliesse ich, dass die christliche Religion einen wichtigen Teil bei der Erzählung der eigenen Geschichte der Migrant_innen spielt. Sie spielt nicht nur bei der Migration selbst eine grosse Rolle - die meisten Frauen wurden von der katholischen Kirche als Krankenschwestern angeworben, einige Männer kamen als Theologiestudenten (vgl. Goel 2008: 61-64). Sie scheint auch zentral bei der Gestaltung des Lebens. So werden in den Migrationsgeschichten in Meine Welt (2008) von den Malayalis in den meisten Fällen Informationen über die religiöse Erziehung in Indien gegeben und darüber wie die Familie in Deutschland in religiöse Strukturen eingebunden ist. Auch die interviewten Sozialarbeiter betonen in den Interviews die Bedeutung von Religion und Religiosität für die Malayalis. Besonders eindrücklich ist dies für mich in einem Interview mit einer Migrantin in der Schweiz. Ich bekomme dabei den Eindruck, dass sie alles Gute auf die Religion zurückführt und alles Schlechte mit dem Fehlen von Religion begründet. Sie engagiert sich im Kirchenrat, gibt Religionsunterricht für Kinder, geht jeden Sonntag in die Kirche, jeden Samstag zur Gebetsgruppe und im Krankenhaus betet sie mit Patient_innen. Im Laufe ihrer Zeit in der Schweiz ist sie in verschiedene Messen gegangen, mittlerweile kann sie in Zürich vier Sonntage im Monat zu einer Malayalam-Messe gehen. Ein Sozialarbeiter erklärt mir, dass gerade die indische Messe für viele ein wichtiger Ort der Identifikation sei. Der eigene Ritus, die eigene Sprache und das Zusammensein mit anderen Malayalis schüfen einen Platz zum Malayali-Sein (vgl. Jacobsen und Raj, 2008: 4). Dieses Herstellen eines gemeinsamen Malayali- Seins habe ich allerdings auch bei nicht-religiösen Veranstaltungen wie Onam beobachtet.

Bei den Bengalis habe ich (auf Basis von viel weniger empirischen Material als bei den Malayalis) den Eindruck, dass das jährliche Durga Puja-Fest der zentrale Punkt für die Herstellung natio-ethno-religio-kultureller Zugehörigkeit ist. Hier verschwimmen Vorstellungen von Kultur, Tradition und Religion. Bengali-Sein und Hindu-Sein werden miteinander verwoben und werden beide durch das Organisieren von und die Teilnahme an Durga Puja bestätigt. Erzählungen von Bengalis in den Interviews über ihre religiöse Sozialisation weichen von jenen der Malayalis deutlich ab. Zentral ist immer wieder die Thematisierung von Unterschieden, von unterschiedlichen Richtungen des Hinduismus und Graden von Religiosität in den Herkunftsfamilien. Diese Erfahrungen und Prägungen werden als entscheidend für den eigenen Bezug zur Religion (sowie für den de_r Ehepartner_in) gesehen. Eine Migrantin stellt sich mir gegenüber als sehr religionsfern dar und betont, wie wichtig das Hinterfragen von Religion sei. Erst später im Interview erzählt sie, dass sie einen eigenen Altar habe und jede Woche ein ausführliches Gebet durchführe. Sie spricht über ihre sehr religiöse Mutter und familiäre Problemen, die aus deren religiöser Praxis entstanden seien. Von ihr - wie von anderen - wird formuliert, dass religiöse Praxis und Vermittlung die Aufgabe der Frauen sei. Da aber unter den Migrant_innen vorwiegend junge Männer gewesen sein, wird mir erklärt, sei Religion in den Hintergrund geraten.

Eine andere Migrantin ist sehr interessiert an dem Interview mit mir, weil ihr die Vermittlung von Religion an die Kinder sehr wichtig sei. Sie spricht über die Schwierigkeiten der religiösen Erziehung in der Schweiz. Da der Hinduismus keine Buchreligion sei, müsse er über das Erleben gelernt werden. Entscheidend für die religiöse Sozialisation sei das Erfahren, Abschauen und Mitmachen. Dafür aber sei eine aktive religiöse Gemeinde notwendig, die bisher in der Schweiz nicht existiere. Erschwerend komme hinzu, dass aufgrund der spezifischen Migrationsgeschichte unter den Migrant_innen ein abstrakter Begriff vom Hinduismus vorherrsche. Die Vermittlung der Religion an die Kinder sei so schwierig, weil

we were all the same age, mostly from technical and very modern background. So there was no one who really was able or even interested to pass this on. Because there is, has been this attitude by many Bengalis, that we do not worship dolls, we do not worship effigies, our religion is not a religion, it is sort of a way of life, and sort of to, in a way to make it that abstract that it is very difficult to hold on to or even to understand. So it is a religion of the brain, and that is not where a child is. You have to have practical religion of your tummy to start off with, and maybe it moves to your heart, some day. That is for me religion.

Um die «practical religion of your tummy» für ihre Kinder herzustellen, habe sie verschiedene Versuche mit mässigem Erfolg durchgeführt: Erstens habe sie Rituale zuhause durchgeführt, zweitens sei sie mit ihren Kindern nach Bengalen gefahren, damit sie dort die Religionsausübung erlebten, drittens habe sie die Grosselterngeneration in die Schweiz geholt, damit die Kinder beiihnen die religiöse Praxis erführen und viertens habe sie versucht Gemeinschaftserlebnisse zu organisieren. Die religiöse Erziehung sei ihr so wichtig, weil die Kinder für ihre moralische Entwicklung die positiven Werte des Hinduismus bräuchten:

I came to the conclusion with them, that an empty container has place for a lot of troubles and problems. But if you fill the container, already actively, there is no, there is very little place left over for something else coming and getting in there.

Ähnlich begründet die oben vorgestellte Kirchenrätin, warum Kinder christlich erzogen werden sollten. Religion gebe Halt und Zugehörigkeit: «Ja, da gehört Religion dazu. Weil wir müssen irgend so einen Halt haben.»

Viele Migrant_innen erzählen mir, dass gemeinsame Veranstaltungen wie Durga Puja oder Onam vor allem für die Kinder wichtig seien. Bei diesen Gelegenheiten könnten sie die Kultur und Tradition ihrer Eltern kennenlernen und bewahren. Gleichzeitig klagen viele, dass die Generation der Kinder nicht genug an den Veranstaltungen (sowohl aktiv wie passiv) teilnähme. Ein Sozialarbeiter der Malayalis beklagt, dass den Jugendlichen das Wissen über die Kirche in Kerala und die verschiedenen Riten fehle. Ich bekomme dieses Wissen vor allem in den Interviews mit den Sozialarbeitern und der Kirchenrätin vermittelt. Sie berichten mir von der Rolle der Kirche in der Migration, über die Organisation der Kirche in Deutschland bzw. der Schweiz sowie die verschiedenen christlichen Riten in Kerala. Ähnliche Informationen bekomme ich auch in den Zeitschriften und anderen Publikationen der Malayalis. So erfahre ich auch, dass die Anwerbung von Krankenschwestern aus Kerala nach Deutschland in der kirchlichen Erzählung auf das Zweite Vatikanische Konzil und die damit verbundene Öffnung der Kirche zurückverfolgt wird. Im Zuge des Konzils seien indische Bischöfe nach West-Deutschland gekommen und der Gedanke der Anwerbung von Krankenschwestern entstanden, um den dort vorherrschende Pflegenotstand (vgl. Goel, 2008: 61) zu mildern. Aus dieser Geschichte der Anwerbung scheint eine besondere Verantwortung der katholischen Kirche für die Migrant_innen aus Kerala entstanden zu sein. Es wurde ein Netzwerk indischer Seelsorge in West-Deutschland aufgebaut (mittlerweile geschieht dies auch in der Schweiz), Sozialarbeiter_ innen aus den Reihen der Migrant_innen eingestellt und Zeitschriften finanziert. Die meisten der Malayalis und ihre Kinder sind daher in die Strukturen der katholischen Kirche in Deutschland (und auch der Schweiz) eingebunden. Ein Sozialarbeiter betont, dass dies dazu führe, dass Malayalis besser integriert in die Dominanzgesellschaft sein und mehr akzeptiert würden als andere Migrant_innen. Gleichzeitig beklagt er aber auch den Verlust der eigenen religiösen Besonderheiten durch das Aufgehen in die kirchlichen Strukturen der Dominanzgesellschaft. Als integrationsfördernd wird von ein paar Interviewpartner_innen auch angeführt, dass die christlichen Malayalis bereits aus Indien Erfahrungen als religiöse Minderheit in einem multi-religiösen Bundesland hätten. Diese Vertrautheit im Umgang mit Vielfalt helfe ihnen auch in Deutschland bzw. der Schweiz (vgl. Jacobsen und Raj, 2008: 4).

3. Die Kinder von Migrant_innen über Religion

3.1. Natio-ethno-religio-kulturelle Zugehörigkeit

Viele der Kinder der Migrant_innen antworten in den Interviews, insbesondere denen zur Staatsbürger_innenschaft, ähnlich wie ihre Eltern auf meine Frage, was indisch bedeute, mit Verweisen auf Religion, Tradition, Kultur und Werte. Sie erzählen mir, dass die eigene indische Seite vor allem durch die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen und Riten gepflegt werde. So sagt eine Tochter von Migrant_innen aus Kerala:

Was mich wirklich noch als Inderin ausmacht, ist eben nun mal die Religion, weil ich gerade wegen der Religion mit Indern Kontakt habe, jeden Monat mindestens einmal und dann noch im privaten Bereich, dass ich dann auch noch indische Freunde habe. Also da würde ich noch sagen, dass das mich eben als Inderin auszeichnet.

Das Deutsche bzw. Schweizerische wird von den meisten meiner Interviewpartner_ innen allerdings über die verschiedenen Interviewkontexte hinweg als dominant in ihrem Leben beschrieben. In ein paar Erzählungen wird darauf verwiesen, dass ihre Eltern (gerade auch jene, die aus Indien migriert sind) sich bewusst für eine deutsche bzw. Schweizer Sozialisation entschieden haben, da die Kinder in Europa aufwachsen. Dazu gehört für die meisten bengalischen Hindus die Teilnahme am schulischen Religionsunterricht und für einige auch die evangelische bzw. reformierte Taufe. So erklärt mir eine Tochter eines Bengali per Email:

Meine Schwester und ich erhielten allgemein sehr wenig von unserer ‹indischen Seite› vermittelt. Weil die Familiengründung in der Schweiz stattfand und es auch klar war, dass wir in der Schweiz bleiben würden, hat mein Vater es vorgezogen, dass wir ‚schweizerisch sozialisiert› werden. So wurden wir reformiert getauft und auch konfirmiert.

Die Erfahrung einer anderen Interviewpartnerin zeigt, dass eine fehlende Taufe durchaus zu Ausgrenzungserfahrungen führen kann:

Da fühlt man sich schon ausgeschlossen als Kind. Und all diese Rituale oder auch, dass ich nicht getauft worden bin und halt so Sprüche wie ‹Du hast ja gar keinen Namen, dann können wir dir ja so und so sagen› und immer so Sachen.

Der Unterschied zwischen den bengalischen Hindus und den christlichen Malayalis liegt hier darin, dass letztere ihre Kinder ohne viel Überlegung in die Dominanzkirche einführen, während erstere sich ganz bewusst dafür entscheiden müssen.

Während die Religion für einige Kinder von Malayalis der bedeutendste Zugang zum Indischen ist, ist sie für andere der Grund, weshalb sie sich nicht indisch definieren. In einem Interview zum Indernet erklärt mir einer:

Es liegt auch sicherlich daran, dass bei mir nicht beide Elternteile aus Indien kommen, sondern halt mein Vater, und meine Mutter aus Mecklenburg. Es mag auch etwas damit zu tun haben, das eben beide, die Familien beider Elternteile eben Christen sind und das auch im Grunde genommen, wenn man mal von Aspekten wie Musik oder Sprache absieht, es nicht wirklich eine kulturelle Differenz, oder gar eine im Elternhaus bestehende kulturelle Homogenität, eine Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft, in der man sich befindet, stattfand und ich bin eigentlich immer aufgewachsen und auch dahingehend erzogen worden, mich als deutscher Staatsbürger wahrzunehmen.

Auch für ihn spielt Religion also eine zentrale Rolle in der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit, anders als bei vielen Anderen aber führt sie bei ihm zu einer eindeutigen Positionierung als Deutscher. Die meisten Anderen allerdings äussern mir gegenüber, dass sie sich beiden Kontexten zugehörig fühlen (vgl. Goel, 2006). Sie können mit Mecheril (2003) als natio-ethnokulturell (Mehrfach-)zugehörige angesehen werden.

3.2. Ganz normal

In informellen Gesprächen und einigen Interviews mit den Kindern der Malayalis erfahre ich viel über die Alltäglichkeit von Religion in ihrem Leben. So sagt mir eine Interviewpartnerin: «Wir fühlen uns auch nicht gezwungen, das gehört einfach dazu. Das ist wie morgens aufstehen und Zähne putzen. Es ist einfach so eine Routine.» Der sonntägliche Kirchgang, die Abendgebete in der Familie, das gelegentliche Gehen zur indischen Messe ist selbstverständlicher Teil ihres Lebens. Viele waren oder sind als Messdiener_in aktiv.

Eine meiner Interviewpartner_innen betont immer wieder, wie liberal und wenig traditionell, sie aufgewachsen sei und auch jetzt noch lebe. Ihre Erzählungen zeigen mir derweil, wie ihr ganzer Alltag seit Kindertagen wesentlich durch religiöse Praxis und Einbindung in religiöse Institutionen geprägt ist. Es wird mir klar, dass wir beide ein recht unterschiedliches Verständnisvon liberal haben. Während für sie liberal, zum Beispiel, heisst, dass das Abendegebet nicht so ausführlich gesprochen wird wie in der Familie in Kerala, fällt für mich der elterliche Anspruch, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, nicht unter Liberalität. Die Liberalität der eigenen Eltern (in Abgrenzung zu anderen Eltern) ist auch in anderen Interviews ein Thema, es wird aber auch von Zwang gesprochen. Ein in Deutschland und Indien aufgewachsener Interviewpartner spricht von Zwang und Doppelmoral in Indien, gerade in Bezug auf Religion. Trotzdem definiert er sich als gläubiger Christ, der aus dem Glauben Kraft und Ruhe schöpfe. In Deutschland fühle er sich freier beim Kirchgang als in Indien, da weniger sozialer Druck durch Bekannte ausgeübt werde. Eine andere Interviewpartnerin spricht auf einmal – für mich völlig unvorbereitet – von häuslicher Gewalt. Sie sei von ihrem Vater regelmässig geprügelt worden, da sie nicht beim Abendgebet mitmachen habe wollen. Durch diese Gewalterfahrung habe sie sich von der Religion abgewendet, aber nicht von ihrer Familie.

Wenn ich nach der Einbindung in religiöse Netzwerke der Malayalis, zu indischen Gemeinden und dem spezifischen Ritus frage, bekomme ich häufig die Antwort, dass alles «ganz normal» sei. Auf meine Frage «Also die Malayalis haben ja doch zum Teil auch eigene Riten, aber das ist, weil ihr römisch-katholisch seid kein Thema?» antwortet einer: «Nein, da gibt es gar keine Unterschiede zu Deutschland. Das hat die meisten Leute auch immer sehr verwundert.» Der Verweis auf die Verwunderung Anderer deutet an, dass ich nicht die Einzige bin, die die Kinder der Malayalis in Bezug auf Religion als Andere festschreiben will und dass es ihnen wichtig ist, ihre Normalität zu betonen. Seine und andere ähnliche Antworten deuten aber auch daraufhin, dass sich viele nicht mit den verschiedenen christlichen Richtungen, die es in Kerala gibt, auskennen und sie daher nichts mit meiner Frage anfangen können. Dies bestätigt die Sorge einiger Migrant_innen, dass die Kenntnisse über das Spezifische des Glaubens der Eltern verloren gingen. Es gibt allerdings auch ein paar junge Interviewpartner_ innen, die mir sehr detaillierte Auskünfte über die verschiedenen Riten geben können und sich zur Vielfalt (kritisch) positionieren. Sie verweisen auch darauf, dass diese Vielfalt in Deutschland schwer vermittelbar sei. Eine Syrisch-Orthodoxe erklärt mir: «Ich trage meine Religion nicht den Leuten hinterher und sage den Leuten: ‹Guckt, ich bin nicht katholisch! Ich bin eben doch irgendwie anders.› » Wie spezifisch Auskünfte gegeben werden, hängt also davon ab, wie viel Verständnis de_r Gegenüber zugetraut wird. Dies mag auch bei den Migrant_ innen ein Grund dafür sein, warum sie häufig nicht zwischen Bengalen/ Kerala und Indien differenzieren.

Viele der jungen Christ_innen erzählen mir, dass sie nicht so gerne in die indische Messen gingen, da sie diese nicht so gut verstünden. Selbst jene, dieeine recht gute Sprachkompetenz in Malayalam haben, verstünden das Malayalam der Messe nicht gut. Die meisten scheinen daher sonntäglich eher in katholische Kirchen der Dominanzgesellschaft zu gehen und nur zu speziellen Anlässen (Ostern, Weihnachten und Onam) in die indische Messe. Diese wären besonders, da sie dort Freund_innen treffen und Kontakte pflegen könnten.

Aber nicht nur die Sprache führt die Kinder der Malayalis in die Dominanzmessen. Eine Interviewpartnerin, die mit ihrem Mann in ein Dorf gezogen ist, erklärt mir: «das gehört zur Integration» und führt fort:

Ich denke, das ist einfach auch eine Plattform, andere Leute kennen zu lernen. Man muss nicht immer in seinen Malayali-Gesellschaften sein. […] hier in der Gemeinde, lernen wir auch andere Leute kennen. Zum Beispiel der Kirchenvorstand ist aus meiner Heimatstadt. Also, er wohnt direkt in der Nähe von meinem Elternhaus und daher ... Da haben wir schnell Anschluss gefunden und wurden freundlich aufgenommen, die kennen uns, es ist eine kleine Gemeinde hier.

Normalität hat in Bezug auf die Religion der Kinder der Malayalis also verschiedene Bedeutungen. Zum einen stellt die religiöse Praxis die Normalität ihres Alltags dar. Sie ist Teil ihrer habituellen Disponiertheit (Mecheril, 2003: 215-218). Zum anderen können sie sich als Christ_innen als zugehörig zur Dominanzgesellschaft, für die die Normannahme der christlichen Prägung gilt, verstehen und über Teilnahme in der Dominanzkirche diese Zugehörigkeit festigen.

3.3. Reflexive Auseinandersetzung mit Religion

Bei den meisten Kindern der Malayalis bekomme ich den Eindruck, dass religiöse Praxis ein völlig selbstverständlicher und verinnerlichter Teil ihres Alltags ist, der nicht mit dem Wunsch oder auch der Kompetenz einher geht, diese religiös begründen zu können. Meine auf Verständnis gerichteten Fragen nach dem wie und warum, sind für die meisten meiner Interviewpartner_ innen nicht anschlussfähig. Eine Ausnahme hiervon machen insbesondere eine Pfingstlerin und ein Katholik, der jahrelang von den Zeugen Jehovas Bibelstunden bekommen hat. Diese beiden geben mir religiöse Begründungen für ihre Handlungen und Einstellungen und beziehen sich dabei auf die Bibel.

Der von den Zeugen Jehovas Unterrichtete ist regelmässig in die katholische Kirche gegangen, war Messdiener und ist mit seinen Eltern und auch alleine mehrfach auf Pilgerreisen in Europa und Indien gewesen. Auf der Basis seines Bibelstudiums aber hinterfragt er die religiöse Praxis der Malayalis und argumentiert, dass diese der Bibel widerspräche. Insbesondere kritisiert er dievon vielen Malayalis geforderte komplette Unterwürfigkeit unter die Kirche und führt diese auf den Hinduismus zurück:

Also ich sehe das Christentum in Kerala so: wir waren alle Hindus früher, dann kam der Apostel und wir wurden alle bekehrt. Was wir in Kerala gemacht haben, ist nur den Hinduismus in eine monotheistische Religion verwandelt. Das heisst alle Millionen von Göttern im Hinduismus haben wir mit einem Gott ersetzt. Aber der Rest ist gleich geblieben. Alle Rituale. Der Hinduismus ist sehr stark verankert in der […] kompletten Unterwürfigkeit. In der Bibel selber habe ich das nie so erfahren, dass Gott von uns die komplette Unterwürfigkeit verlangt. Aber die Malayalis verhalten sich so.

Explizit distanziert er sich von dem unter Malayalis weit verbreiteten Wunderglauben:

Drum glaube ich selber auch nicht an Wunder. Vor allem nicht an solche wie zum Beispiel eine Marmorstatue blutet oder spuckt Milch oder weint. Das ist für mich hirnrissig. Aber es gibt Menschen, es gibt sehr viele Menschen, die brauchen das.

Diese Aussage ist für mich besonders interessant, da ich wenige Tage vorher bei einer Onam-Feier ein paar Teenager interviewt habe und sie mir begeistert von dem Wunder der blutenden Marmorstatue erzählten. Sie habe das in ihrem Glauben bestätigt, sagen sie mir: «Ja, es ist so. Es ist schon schön, also Gott hilft. Wenn man betet, ist Gott schon da für uns, also für alle eigentlich. Also, darum beten auch die Malayalis sehr viel.» Auch dieses Beten, um von Gott Unterstützung zu bekommen, widerspricht dem Verständnis des von den Zeugen Jehovas Unterrichteten. Konkret davon betroffen ist er, wenn seine Mutter für ihn betet. Er sieht darin seine eigenen Leistungen, zum Beispiel, in Prüfungen geschmälert:

Drum, also bei mir ist das jetzt soweit gekommen, dass ich jetzt die letzten Prüfungen zum Beispiel den Eltern verschwiegen habe und dann am Tag nach der Prüfung das ihnen gesagt habe. ‹Ja, ich hatte gestern meine Prüfung›, also nur, damit sie keine Zeit hatten zu beten.

Durchgängig durch das Interview verfolgt er einen sehr vernunftgesteuerten Ansatz. Er kritisiert, was er beobachtet, sagt aber auch immer wieder, dass die Praxis in Ordnung sei, wenn sie den Menschen gut tue. Er betont, dass der römisch-katholische Glaube zu seiner natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit gehöre, die er beibehalten und an seine zukünftigen Kinder weitergeben wolle. Für seine Eltern scheint Religion allerdings nicht das Wichtigste zu sein. Auch wenn sie sich wünschten, dass er regelmässig zur Kirche ginge, erzählt er, wäre seine Distanzierung von der Kirche für sie weniger problematisch als eine Studienwahl, die nicht auf Erfolg ausgerichtet sei:

Ich hätte mich wehren können, sagen können, ich gehe jetzt nach Berlin oder ich studiere jetzt Archäologie, ist genau eigentlich eine brotlose Kunst. Ich wäre vielleicht glücklicher gewesen jetzt. Aber diese Entscheidung wäre dann doch gravierender gewesen, als wenn ich gesagt hätte, ich gehe nicht mehr zur Kirche.

Für die Pfingstlerin und ihre Familie hingegen scheint ihr Glaube das wichtigste. Ihren Erzählungen zufolge prägt er nicht nur ihr Handeln, sondern erfordert auch einen grossen Zeiteinsatz und führt dazu zu, dass sie ihre engsten Kontakte in der Gemeinde hat. Da sie in ihrer Gemeinde die einzige Familie aus Kerala sind, hat sie vergleichsweise wenig Kontakt zu anderen Malayalis. Auch sie kritisiert den Glauben der meisten katholischen Malayalis, die für sie keine ‹richtigen Christen› seien, denn:

Für mich sind einfach Christen die, die das wirklich glauben. Also wirklich. Also, ich glaube, dass mir alle Sünden vergeben sind und dass wenn ich tot bin, ewig leben werde. Das sind für mich richtige Christen.

Ihr Vater habe einen indischen Gottesdienst etabliert, zu dem er andere Malayalis einlade, erzählt sie. Aufgrund der Glaubensunterschiede sei er aber nicht wirklich erfolgreich. Für sie selbst sei die Teilnahme schwierig, da sie die religiöse Sprache nicht gut genug verstehe und daher nehme sie nicht teil. Eine Verbindung zu Indien scheint ihr Glaube ihr dennoch zu bieten. Sie erzählt, dass ihre Familie schon in Kerala der Pfingstgemeinde angehört habe. Wenn sie nach Indien reisten, nähmen sie auch dort an Gottesdiensten teil und sie fühle sich dort zugehörig im gemeinsamen Glauben.

Der Hinduismus hingegen ist ihr sehr fremd, sie erzählt:

Hinduismus, auch wenn ich in Indien bin, ist etwas, was ich von den vielen Weltreligionen am wenigsten nachvollziehen kann.

und erklärt das wie folgt:

Die vielen Götter. Also für mich ist es halt ganz, ganz entscheidend, dass in meiner in Anführungszeichen Religion, ich bin ja gar nicht so die Frau, die gerne von Religion oder religiös spricht, weil bei mir geht es einfach um den Glauben und Gott. Ja, das es da viele Gottgestalten gibt, das ist für mich schon ... ein Gott für das und ein Gott für das, das ist für mich schon besonders. Weil ich habe einen Gott, der kann alles. […]. Ich weiss es nicht. Ich habe irgendwie auch einen schweren Bezug dazu, weil das sehr, sehr so menschengemacht aussieht mit diesem Elefantengott.

Bei Durga Puja vermute ich, würde sie kaum ein Gefühl von natio-ethnokultureller Zugehörigkeit empfinden. Die religiöse Gemeinsamkeit scheint für sie das Zentrale zu sein.

3.4. Hinduismus praktizieren

In den Interviews zum Indernet erfahre ich, dass die Gründer des Indernets sich über Durga Puja kennen. Sie nutzen ihre Durga Puja-Netzwerke erfolgreich, um für das Internetportal Werbung zu machen sowie Kooperationspartner_ innen und Redakteur_innen zu finden (vgl. Goel 2009a). Neun Interviewpartner, die sich durch die Durga Puja-Netzwerke kennen, berichten mir besonders ausführlich von ihrer religiösen Prägung: Nicht nur die Teilnahme an Pujas (nicht nur Durga Puja) scheint für sie selbstverständlich, auch Gebete zuhause und indische Mythen als Gute Nacht-Geschichten sowie die Durchführung ritueller Zeremonien in Indien scheinen weit verbreitet. Einer antwortet mir auf die Frage, ob er als Hindu aufgewachsen sei und praktiziert, recht typisch:

Hinduismus ist letztendlich eine Lebensphilosophie, eine Lebenseinstellung. Er beinhaltet verschiedene Aspekte und jeder lebt seinen eigenen Hinduismus. Ich verstehe mich auch selber als Hindu, bin praktisch auch mit der Mythologie vertraut. Meine Eltern haben mir von vorhinein das Ramayana vorgelesen und Mahabarata erzählt und ich besuche Durga Puja jedes Jahr. Insofern habe ich schon Bezug zum Hinduismus. […] Ich habe da auch eine Zeremonie in Indien mitgemacht, da habe ich halt eine Glatze geschnitten, insofern habe ich einen ganz guten Bezug zum Hinduismus, aber esse auch Fleisch und lebe eigentlich auch westlich.

Ein Anderer erzählt, dass bei ihm die Zeremonie angepasst worden sei, damit er in Deutschland nicht auffalle:

Es gibt, ich weiss nicht welches Alter das ist, es gibt diese sogenannte Priesterweihe. Da bekommt man diese heilige Schnur […] und das habe ich auch gemacht […] Bis auf ein paar Sachen, die mussten ein bisschen verkürzt werden. Normalerweise muss der Kopf kahl geschoren werden. Im übertragenen Sinne heisst das so viel wie, dass man in Askese lebt und in völliger Enthaltsamkeit, so ist das ursprünglich gedacht. Das haben wir nicht gemacht, weil wir kurz danach nach Deutschland gefahren sind. Das finde ich auch persönlich ein bisschen schwierig, mit einer Glatze hier herum zu laufen. Da mussten wir eine Zeremonie mehr machen, alles was dazugehört, Bad im Ganges, ja das war eine sehr interessante Erfahrung, muss ich sagen.

Viele der Kinder der Bengalis bezeichnen sich auf Nachfrage als Hindus. Sie erzählen mir, dass sie ihren eigenen Hinduismus zusammenstellen und ihre eigene Interpretation praktizieren würden. Der Grad zu dem sie sich als praktizierende Hindus verstehen variiert. Einige sprechen regelmässig Gebete, einige tragen die Schnur der Brahmanen, für einige ist die Teilnahme an Veranstaltungen eine Pflicht. So erzählt mir einer der Interviewten:

Es ist wirklich schwer zu sagen, weil ich bin auch kein stark praktizierender Hindu. Ich meine ich sehe es schon als meine Pflicht zu solchen Veranstaltungen hinzugehen und auch so wie es Tradition ist an diesem ganzen Andachten teilzunehmen und auch diese ganzen, diese ganzen Gebete mitzusprechen, aber ich bin jetzt in meiner Freizeit oder so wie ich lebe jetzt eigentlich nicht praktizierender Hindu.

Ein anderer erzählt mir, dass er in der Familie auch die Funktion des Priesters übernehme und im eigenen Gebetsraum Gebete durchführe. All dies bestätigt für mich den Ansatz der interviewten Bengalin, die meinte, dass Kinder durch Erleben, Abschauen und Mitmachen in den Hinduismus sozialisiert würden. Meine Beobachtungen deuten darauf hin, dass je mehr meine Interviewpartner_ innen praktizierten Hinduismus erlebt haben, sie sich desto mehr ihm verbunden fühlen und selber praktizieren. Dabei bleibt allerdings der offene Hinduismusbegriff für die meisten leitend. Es scheint für die Interviewten eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass sie selbst ihren eigenen Hinduismus definieren können. Das wiederum führt dazu, dass die religiöse Praxis der Kinder der Bengalis sehr unterschiedlich ist.

3.5. Die Bedeutung von Durga Puja

Da Durga Puja in den Erzählungen der Interviewten eine zentrale Bedeutung einnimmt, nehme ich 2009 sowohl in Köln wie in Zürich beobachtend teil. Im Folgenden beschreibe ich einige meiner Beobachtungen und etwas von meinen Gesprächen und Interviews:

In Köln gehöre ich schnell dazu. Ich treffe Bekannte von früher, sie führen mich ein als eine der Jugendlichen (also der Kinder der Migrant_innen) und so werde ich auch von den anderen als eine Dazugehörige angenommen. Schnell stellt sich eine Vertrautheit her und ich mache mit den Jugendlichen mit. Zwei Tage später in Zürich fühle ich mich hingegen fremd und finde nur wenig Anschluss. Sowohl in Köln wie in Zürich thematisiere ich, inwieweit die Teilnahme an Durga Puja religiös motiviert ist und inwieweit es um das gesellige Beisammensein geht. In Köln erlebe ich vor allem Geselliges. Wir Jugendliche sitzen einen halben Tag zusammen, bereiten Gemüse für die Zubereitung des gemeinschaftlichen Essens vor und reden miteinander über alles Mögliche. Am Abend gehen einige nach der Feier noch zusammen weg. Immer wenn jemand neues kommt, wird die Person mit grossem Hallo begrüsst. Überall stehen und sitzen Gruppen von Jugendlichen zusammen, die sich unterhalten. Mir wird angekündigt, dass es am zweiten Tag immer einen Beitrag der Jugendlichen gebe. Der fällt aber nun gerade bei dieser Veranstaltung erstmalig aus. Es finden sich nicht genug, die Lust haben, etwas auf der Bühne zu präsentieren. Der Moderator des Bühnenprogrammes ist aber einer der Jugendlichen, den ich schon Jahre vorher zum Indernet interviewt habe und der mir schon damals von der grossen Bedeutung Durga Pujas für ihn erzählte. Mittlerweile steht er bereits im Beruf, nimmt sich aber (wie einige der anderen auch) für Durga Puja eine Woche frei, um aktiv mitzumachen. In Gesprächen mit den Jugendlichen erfahre ich, dass sie, seit sie klein sind, jedes Jahr bei Durga Puja dabei sein. Wenn die Feier in die Schulzeit gefallen sei, hätten sie dort gemeinsam Schulaufgaben gemacht. Jetzt reisen sie auch über grössere Distanzen an, manche kommen mit ihren Ehepartner_innen, ein paar mit den eigenen Kindern. Es ist offensichtlich, dass für diese Kinder der Bengalis Durga Puja eine sehr wichtige soziale Rolle spielt.

In Gesprächen erfahre ich aber auch von der religiösen Bedeutung von Durga Puja für sie. Mir wird erzählt, dass es im Laufe von Durga Puja insbesondere einen Tag gäbe, an dem alle bei der Zeremonie teilnähmen, auch jene, die Religion gegenüber eher skeptisch eingestellt sein. Ein Teenager erzählt, dass er als Kind von seinen Eltern dazu gedrängt worden sei an den Zeremonien teilzunehmen und irgendwann dann begonnen habe freiwillig mitzumachen. Eine Ältere erzählt von religiösen Riten, die auch in ihrem Elternhaus durchgeführt würden. Ein Skeptiker spricht mit mir über seine Ferne zum Hinduismus, da er nicht mit ihm aufgewachsen sei. Durga Puja sei ihm trotzdem sehr wichtig, genauso wie Glaube – wenn auch nicht konkret an eine Religion gebunden. Diese Differenzierung zwischen Religion und Glaube wird auch von einigen anderen Interviewpartner_innen (wie z.B. der Pfingstlerin) betont.

In Zürich nehme ich Durga Puja als geprägt durch die älteren Migrant_innen wahr, die die ganze Organisation übernehmen. Jüngere Migrant_innen, die erst seit kurzem in der Schweiz leben, stellen die Mehrheit der Teilnehmenden dar und einige von ihnen machen sehr aktiv bei den Zeremonien mit. Viele Kinder toben durch den Raum. Zusammen mit ihnen soll ich Gabenteller herrichten oder Blumengirlanden machen. Von der Migrantin, die mich eingeladen hat, werden mir Aufgaben zugeteilt, Bedeutungen erklärt und werde ich anderen vorgestellt. Einer der älteren Migranten weist mich zurecht, sagt mir, was ich falsch mache und wie ich es anders machen solle. Diese Disziplinierung kenne ich aus meinen Kindertagen und Jugend, auch mein aufkommender Ärger ist mir daher bekannt. An den Zeremonien nehme ich nicht teil, da ich mich als Nicht-Gläubige damit nicht wohl fühle. Viele von den Kindern und Teenagern sind aktiv dabei. Einen, den ich als besonders engagiert wahrnehme, interviewe ich kurz. Für mich überraschend sagt er,dass er nicht glaube, dass Religion auch kein Thema in seiner Familie sei. Er erzählt mir, dass er wegen der Musik und den Leuten mitmache. Eine Andere erzählt ebenfalls, dass sie nicht glaube und Religion in ihrer Familie kein Thema sei. Einige der jüngeren Migrant_innen erklären mir, dass auch in Kalkutta Durga Puja vor allem ein geselliges Fest sei und der religiöse Teil nicht so wichtig. Gleichzeitig ist der Priester die ganze Zeit aktiv, führt Zeremonie nach Zeremonie durch. Mal ist er dabei weitgehend für sich, mal machen viele mit. Mir scheint, dass es für die Kinder eine spielerische Sozialisation in die religiöse Praxis ist. Ich kann mir vorstellen, dass auch sie später, wie die Kölner Jugendlichen, sagen werden, dass Durga Puja ein selbstverständlicher Teil ihrer natio-ethno-religio-kulturellen Zugehörigkeit sei.

Junge Erwachsene, die in der Schweiz aufgewachsen sind, treffe ich tagsüber nicht. Abends wird mir erzählt, seien mehr da, auch einer den ich aus dem Indernetkontext kenne. Aber abends bin ich unterwegs, um Interviews zu führen, und bekomme nicht mit, was bei Durga Puja geschieht. Meine Interviewpartnerinnen in dieser Woche sowie wie jene, die ich später per Email interviewe, zeigen keine grosse Verbundenheit mit oder auch nur Interesse für Durga Puja. Die Interviews verlaufen eher zögerlich, ich kann sie nur wenig motivieren, etwas zum Thema Religion zu erzählen. Ich erfahre, dass die Mütter religiös seien und auch zu Hause praktizieren. Die Väter werden als religionsferner dargestellt. Die Interviewten geben an, dass sie nicht an die Religion herangeführt worden sein, so zum Beispiel in dieser Erzählung:

Über den Hinduismus erfuhr ich – wie allgemein über den kulturellen Hintergrund meines Vaters – nur situativ etwas. Je nach Anlass oder Begebenheit (Bijoya, Diwali oder zum Beispiel bei einem Todesfall in der Familie) erläuterte mein Vater die eine oder andere Praxis.

Die meisten bezeichnen sich als wenig religiös, aber durchaus gläubig. Auch sie betonen, dass sie ihren eigenen Hinduismus entwickeln. Hierin gleichen sie jenen, die ich in Deutschland interviewt habe. Im Gegensatz zu letzteren zeigen sie aber viel weniger Verbundenheit mit dem Hinduismus. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass es in ihrer Kindheit und Jugend keine Durga Puja-Feiern in der Schweiz gab.

3.6. Ehe und Familie

Die Wahl der richtigen Partner_in sowie die Vorstellungen der Eltern dazu und auch die Frage, wie zukünftige Kinder erzogen werden sollen, kommen in allen Interviewkontexten immer wieder zu Sprache. Familiensinn und Fragen von Partner_innenschaft werden von vielen als zentrale indische Werteangesehen. Viele der Christ_innen erklären mir, dass ihr_e (zukünftige) Ehepartner_ in auch Christ_in sein sollte. Ihre Eltern wünschten überwiegend Inder_innen, aber ihnen reiche schon ein_e Christ_in. Eine erklärt mir:

Wenn es eine andere Religion, Kultur wäre, wäre auch okay, aber die Religion muss stimmen. Schon Christ und am besten katholisch, so bei den Katholiken gibt es ja jetzt auch viele Splittungen und da wäre es mir eigentlich egal. Protestantisch wäre auch in Ordnung, aber Christ. Was anderes wäre für mich nicht in Frage gekommen.

Auf meine Nachfrage, warum es nicht ein Gläubiger einer anderen Religion sein könnte, sagt sie:

Dann wäre die Kultur unterschiedlich und die Religion. Dann haben wir überhaupt keine gemeinsame Basis. Das denke ich, ist schwierig. Ich meine, es ist sowieso schon schwierig, wenn man aus zwei Kulturen kommt, da irgendwie … Ich meine, es funktioniert, es gibt bestimmt super Beispiele, aber es.. ich stelle mir das einfach schwierig vor. Wenn dann auch noch die Religion, wenn der Glauben unterschiedlich ist, dann ist es richtig schwer, glaube ich. Weil es gehen ja auch so viele Ehen, Partnerschaften in die Brüche, wo zwei Kulturen involviert sind. Ich denke, wenn man, wenn es ein Deutscher oder ein Spanier oder Christ wäre, dann hätte man wenigstens die Religion als Basis, gemeinsam, wenn es auch ein Gläubiger […] ich würde dann schon schauen, dass es einer ist, dem die Religion vielleicht nicht extrem, aber auch eine wichtige Rolle spielt. So wie bei mir.

Da sie betont, dass es eine Gemeinsamkeit geben müsse, frage ich, ob es nicht ein Malayali mit einer anderen Religion sein könne. Sie antwortet:

Ich weiss es nicht. Ich meine, wenn das jetzt jemand ist, der genauso gläubig ist wie ich oder vielleicht noch strenggläubiger ist, dann gibt es diese Kirchengänge sonntags, die man gemeinsam macht. Aber wenn das eine andere Religion ist, dann müsste ich mich unterordnen oder ich müsste einiges bei ihm mitmachen, was interessant ist und so, aber ich glaube, beides parallel laufen zu lassen, wird auf Dauer schwierig. Und dann, wenn man dann Kinder hat, dann wird es, glaube ich, kompliziert. Kann ich mir ... Ich sehe es immer nur aus Filmen, zum Beispiel ‹Bombay’ oder so, wo … Den Film kennst du bestimmt?

Mit dem Film verweist sie auf den Communalism in Indien und die existenziellen Probleme, die Hindu-Muslim-Ehen dort haben können.

Religiöse Differenz scheint mir von den meisten Christ_innen als die bedeutendere Differenz gegenüber der natio-ethno-kulturellen angesehen zu werden. Bei den Kindern der Bengalis hingegen scheint mir die Partner_ innenschaft mit Andersgläubigen üblich. Viele erzählen mir, dass sie ihre Hochzeit oder Verlobung in Indien feiern möchten. Sie wünschten sich dievolle hinduistische Zeremonie, liessen sich die Riten genau erklären und adaptierten sie an ihre Bedürfnisse. Eine erzählt mir, dass sie sich dafür Literatur aus den USA besorgt habe. Sie schreibt mir später: «Es wird Dich ausserdem interessieren, dass ich die Sanskrit-Verse, die ich für unzeitgemäss hielt (sprich: ein etwas veraltetes Frauenbild widerspiegelnd), aus dem Skript entfernt habe.»

Eheschliessungen scheinen für viele der Kinder der Bengalis und fast alle der Malayalis die Norm. Für die Christ_innen scheint zudem eine kirchliche Trauung selbstverständlich. Eine der Interviewten ist sogar nur kirchlich in Indien getraut und gilt in Deutschland rechtlich nicht als verheiratet. Eine Trennung von ihrem Mann könne sie sich trotzdem kaum vorstellen. Wobei sie nicht religiöse Bedenken dafür anführt, sondern die Angst um den Ruf ihres Vaters. Er habe die Hochzeit sehr aufwändig mit hohen kirchlichen Würdenträgern in Indien organisiert und würde schlecht da stehen, wenn sie sich trennen würde.

Selbstverständliche Normannahme scheint bei fast allen meinen Interviewpartner_ innen, dass es sich um heterosexuelle dauerhafte monogame Partner_innenschaften handeln soll. Die Pfingsterlerin erklärt dies religiös, für die anderen scheint es schlicht unhinterfragt. Homosexualität wird nur von der Pfingstlerin aus religiösen Gründen abgelehnt. Die anderen fühlen sich mit dem Thema auch nicht wohl, argumentieren das aber nicht religiös, sondern aus ihrem Normempfinden heraus. Unter den interviewten Christ_innen sind auch gleichgeschlechtlich liebende Personen. Sie erzählen mir, dass ihr Coming-Out problematisch sei, da der katholische Glaube ihre Eltern Homosexualität nicht akzeptieren liesse.

Die meisten heterosexuellen Interviewten erzählen mir wie selbstverständlich von zukünftigen Kindern. Viele sagen, dass sie ihre Kinder genauso erziehen würden, wie sie selber erzogen wurden. Sie sollten frei in ihrer Religionswahl sein, aber Grundlagen bekommen. So erzählt mir der von den Zeugen Jehovas Unterrichtete:

Also, wenn ich mal je Kinder haben sollte, dann will ich schon, dass die Eltern verheiratet sind, also solche Grundsätze habe ich dann doch schon aus meiner Kultur. Zum Beispiel würde ich sie auch nur im römisch-katholischen Glauben erziehen, aber dann mit Aussicht, dass sie sich dann mit 16 um entscheiden können, wenn sie mir einen Grund nennen. Also, wenn sie mir sagen würden, ja mich interessiert das nicht, ist mir zu langweilig, das wäre für mich kein Grund, aber wenn sie mir sagen können ja wieso ... dann wäre das für mich kein Problem.

Auch ein Sohn von Bengalis betont die Bedeutung von Glaube und Offenheit in der Erziehung: «ich möchte, dass sie gläubig aufwachsen, dass ist für mich das Wichtigste. Gläubig und offen und humanistisch». Aus meiner Beobachtung erscheint mir, die von vielen angestrebte religiöse Wahlfreiheit für ihre Kinder eineweitgehende Unmöglichkeit zu sein. Der Grad der religiösen Erziehung scheint ganz wesentlich zu beeinflussen, wie religiös die erwachsene Person später ist. Die habituelle Disponiertheit prägt die Person, ihre Wahlfreiheit ist damit in jedem Fall eingeschränkt.

4. Sprechen über die Religion der Anderen

Das Sprechen über die Religion der Anderen von Seiten der Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft sowie der Migrant_innen zeigt immer wieder eine Tendenz des essentialistischen Festschreibens der Anderen, die eine prägende Wirkung für die Kinder der Migrant_innen hat. Natio-ethno-religio-kulturelle Zugehörigkeit wird als bedeutend konstruiert und Indisch-Sein dabei als grundlegend anders als Deutsch- oder Schweizerisch-Sein dargestellt. Sowohl die Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft wie die Migrant_innen haben zudem eine Tendenz dazu, das Eigene gegenüber dem Anderen aufzuwerten. Wobei das Eigene und Andere dabei durchaus flexibel sind. So wird von Migrant_innen aus Kerala zum einen das spezifisch eigene Indische und zum anderen das Gemeinsame des christlichen Glaubens betont. Auch auf Seiten der Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft gibt es den Wechsel zwischen dem Betonen der Andersartigkeit und der Gemeinsamkeit in der Andersartigkeit. Sowohl die Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft wie die Migrant_ innen betonen, wie wichtig das Bewahren des Eigenen (auch der Religion) für die Kinder der Migrant_innen ist und bedienen damit den diversitären Integrationsdiskurs (vgl. Lanz, 2009). Gemeinsam wird den Kindern der Migrant_innen so ein normierender Rahmen für ihre Entwicklung präsentiert, der verschieden gefüllt wird und mit dem die Kinder unterschiedlich umgehen.

Bei der Analyse der Perspektive der Vertreter_innen der Dominanzgesellschaft und der Migrant_innen darf allerdings nicht der Fehler begangen werden, die Aussagen zu stark zu homogenisieren und widerspruchsfreie Thesen zu konstruieren. Die analysierten Grussworte stellen eine sehr spezifische Form der Repräsentation dar, müssten daraufhin noch weiter untersucht und durch Interviews ergänzt werden. Für die Analyse der Interviews ist zu beachten, dass der Kontext Interview in der Regel zu einem Konsistenz- und Plausibilitätsdruck (Schiffauer, 2000: 234) für die erzählte Geschichte führt. Widersprüche und Ambivalenzen werden daher eher nicht dargestellt oder aber Erklärungen konstruiert. Auch hier wäre eine vertiefte Analyse sinnvoll, um die Komplexität der Repräsentationen herauszuarbeiten.

Die Erzählungen der Kinder der Migrant_innen sind für mich zum Teil vertraut. Bei der teilnehmenden Beobachtung fühle ich mich zudem immer wieder an Erfahrungen aus meiner Kindheit und Jugend erinnert. Aber ich bekomme auch viele neue Einblicke. Als areligiöse Person wundert mich sowohl die Selbstverständlichkeit mit der Religion Teil des Lebens von vielen ist sowie der geringe Grad an reflexiver Auseinandersetzung mit ihr. Normalitätsvorstellungen scheinen nur von wenigen explizit religiös begründet zu werden. Diese Vorstellungen wirken aber auch bei den Kindern der Migrant_ innen zum Teil sehr ausgrenzend (vgl. Goel, 2009b: 180-181), so, zum Beispiel, wenn eine Christin auf meine Frage, was sie machen würde, wenn ihr Kind homosexuell wäre, antwortet:

Das ist eine gute Frage. Ich glaube, ich hätte Probleme. Ich wäre nicht erfreut. […] ich wäre wahrscheinlich streng und sauer, extrem. […] Also, ich würde mich damit abfinden irgendwo, vielleicht nicht nach aussen hin zeigen, dass ich mich damit abgefunden habe, aber es ist halt so. Wie eben mein Vater.

Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, wenn jene, die von der Norm in irgendeiner Form abweichen, sich in der natio-ethno-religio-kulturellen Gemeinschaft nicht besonders wohl fühlen (vgl. Goel, 2009b: 175-180).

Das vorgestellte Material deutet zudem daraufhin, dass Religion eine wichtige Rolle in der Herstellung von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit und damit bei der Ausbildung der eigenen Subjektposition (vgl. Mecheril und Melter, 2009: 157-158) spielt. Religion verschwimmt mit den anderen Kategorien Nation, Ethnie und Kultur und bildet zusammen einen Zugehörigkeitskontext. Dabei besteht ein Unterschied in dem Reden über Religion sowie in den Erfahrungen, die mit ihr gemacht werden, darin, ob die eigene Religion anschlussfähig an die Dominanzreligion ist (wie bei den Malalyalis) oder als fremd angesehen wird (wie bei den Bengalis). Wie sehr sich in Deutschland oder der Schweiz aufgewachsene Kinder von Bengalis und Malayalis über die Religion ihrer Eltern definieren und sie praktizieren, hängt entscheidend davon ab, wie sehr sie in diese sozialisiert wurden. Dabei unterscheidet sich die alltäglich erlebte Praxis bei den Christ_innen erheblich von den eher punktuellen Berührungspunkten der Hindus. Diese Unterschiede im Erleben führen zu unterschiedlichen Selbstverständlichkeiten bzw. Normalitäten und den darauf aufbauenden Handlungen.

Zum Abschluss des Artikels will ich noch einmal auf die Gefahr der Festschreibung durch Forschung zurückkommen. Dadurch dass dieser Artikel Religion fokussiert, produziert er die religiösen Anderen und blendet andere Faktoren aus (vgl. Mecheril et al., 2003). Jene Interviewpartner_innen, die mir nicht viel zu Religion gesagt haben, tauchen kaum auf. Ihr Schweigen ist vielschwieriger zu thematisieren und zu analysieren als konkrete Interviewaussagen. Zudem nutze ich meine Repräsentationsmacht als Wissenschaftlerin (vgl. Broden und Mecheril, 2007; Castro Varela und Dhawan, 2007), um eine spezifische Darstellung des Sprechens über die Religion der Anderen zu machen. Viele der Interviewten würden diese vermutlich anders machen. Ich hoffe, sie fühlen sich nicht zu sehr missverstanden und vor allem nicht angegriffen. Eine der Interviewten bei Durga Puja in Köln hat mich aufgefordert: ‹schreib nichts Peinliches›, sonst müsse sie mir ein Hausverbot erteilen. Ich hoffe, das ist nicht nötig.

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