Heidelberg: Draupadi Verlag, 220 Seiten, 2012, 19,80 €
ISBN 978-3-937603-73-5
in: Meine Welt, Januar 2013.
Vorweg eine ausgesprochene Gratulation an das Herausgeberteam für das Buch. Es ist ein löbliches Unterfangen eine Sammlung von autobiographischen Narrativen kombiniert mit wissenschaftlichen Essays in einem Gesamtkontext zu stellen und daraus vielfältige und aufschlußreiche Erkenntnisse, aus einem hierzulande wenig bekannten Migrationsterrain zu ziehen. Mit „InderKinder“ ist endlich die postkolonialistische, Rassismus- und Migrationsdebatte auch in Deutschland angekommen. Insofern hat sich das Buch schon gelohnt.
Das Projekt hat, wie ich meine, einen klitze-kleinen Riss. Urmila Goel, auch ein Inderkind, ist sich die Gefahr durchaus bewußt. Zusammen mit dem Vater/Tochterduo, Jose und Nina Punnambarambil, ist sie Mitherausgeberin, aber die Handschrift der kritischen Rassismusforscherin ist unverkennbar. Anders als bei dem Vorgänger dieses Buches, „Heimat in der Fremde“,(Draupadi Verlag, 2008) in dem Menschen aus Indien, allesamt älteren Semesters - angetrieben von dem gnadenlos unermüdlichen Jose - ihre Migrationsgeschichten zu Papier brachten (auch ich habe dort zum Thema gegrübelt) wollte das Herausgeberteam unbedingt die autobiographischen Narrativen nicht allein stehen lassen, sondern sie durch einordnende Essays aus Expertenhand ergänzen. Aber Urmila ist zu klug um in die soziologische Falle zu tappen - die Inderkinder sollten nicht als Betroffene konstruiert werden, die zwar ihr Leben erzählen, aber nicht darüber reflektieren können ohne die Hilfe von Experten. Aber ohne Experten geht es für die Kultur-und Sozialanthropologin nun mal nicht – so kam sie auf die exzellente Idee für die Essays Inderkinder zu gewinnen, die sich wissenschaftlich mit Fragen von Migration, Rassismus und postkolonialen Verhältnissen auseinandersetzen. Eine weise Entscheidung. Die Essays sind gut – besonders angetan hatten mir die reifen Reflexionen von Rohit Jain aus Bern. Das Interview mit der energischen Menschenrechtsaktivistin und promovierter Wissenschaftlerin, Nivedita Prasad aus Berlin ist ein eye-opener – eine echte Entdeckung. Nivedita‘s Ausführungen, auch weil sie so voller Zorn über die Verhältnisse sind, gefallen mir: sie beobachtet gut: über die Indische Community in Berlin, die Nivedita als „sehr Schicht-homogen“ kennengelernt hat, „Wenn ich höre, wir sind anders als die anderen, weil die sich nicht integrieren, dann lese ich daraus, wir sind besser als die anderen, weil wir gebildeter und akademischer sind. Das ist eine ganz klassische Schicht-Überheblichkeit“. Recht hat sie.
Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich um middle-class und upper-middle-class InderKinder, die im Buch zu Wort kommen. Tolle Geschichten von und Interviews mit Diptesh, Rita, Maymol, Daniela, Simon, Nicole, Sherry, Betty, Renuka, Merle. Allesamt interessant, teilweise fesselnde, anrührende, tapfere, originelle oder einfach „normale“ stressfreie Autobiographien. Nein, nichts gegen die einzelnen Beiträge. Einige der Protagonistinnen kenne ich persönlich. Also, was ist es denn? Warum sträubt sich bei der Lektüre etwas in mir dagegen? Ich glaube es liegt daran, dass alle unsere Erfahrungen und Lebensentwürfe (inklusive meiner) einmalig sind – unique. Ich weigere mich eine Statistik zu sein, ich bin anders als die Anderen,und ich finde es immer äußerst unangenehm mich für eine Erhebung herzugeben, als Material für eine ethnosoziologische Studie zu gelten – der Fluch der Soziologie. Es ist die Reduktion wogegen ich mich aufbäume und offensichtlich nicht nur ich. Die Choreographin, Sandra Chatterjee, endet ihr Essay wie folgt: „Obwohl ich mich mit den Theorien Halls[Stuart) und auch Scotts[Joan], mit der ich diesen Essay begann, seit mehr als zehn Jahren theoretisch auseinandersetze fällt mir eins weiterhin schwer: limitierende Identitätsbeschreibungen zu überwinden und als Positionierungen neu zu artikulieren. Dies hat mir die Arbeit an diesem Essay aufs Neue gezeigt. Denn als Identitätszuschreibung bringt mich die Erfahrung des in Deutschland immer wieder „Auf Indien verwiesen werdens“ künstlerisch weiterhin zu verstummen.“
Paul Mecheril, dessen Arbeiten ich schon seit längerem kenne und schätze, nennt das „doing India“ or „doing Indianness“. Ein wunderbarer Begriff. Wer von uns kennt das nicht? Diesen Moment, egal ob wir seit 40 oder 50 Jahren in Deutschland unser Lebensmittelpunkt haben, in dem wir immer wieder in Erklärungsnot geraten: „bei uns (sprich in Deutschland) ist es so, und wie ist es bei euch(sprich in Indien)?“ Und dann fängt frau/man eben die Leier „doing India“ an, oder verstummt – je nachdem....frau/man bleibt lebenslänglich, in Mecherils Worten „an die Logik der natio-ethnischen Ordnung gebunden“. An dieser Stelle sei mir etwas persönliches erlaubt: 1998 als ich eine Nervenkrise in der Oberberg-Klinik in Hornberg im Schwarzwald kurierte, verlangte ich eine ältere Psychotherapeutin, die Erfahrung mit Migrationsgeschichten hat, weil ich dadurch glaubte mich besser verstanden zu wissen. Eine ältere könne ich nicht bekommen, meinte der treudeutsche Klinikdirektor, aber eine mit Migrationserfahrung , weil sie früher mal einen türkischen Freund gehabt hat!!! Ich hatte Glück, dass meine Psychotherapeutin Paul Mecherils Arbeiten über Patchwork Identities kannte und sie mir zu lesen gab. So ging mein Klinikaufenthalt nicht ganz aus wie das berühmte Hornberger Schießen. Aber dies nur am Rande.
Eigentlich, nach einem halben Jahrhundert in Deutschland, möchte ich das Recht aufs Scheitern haben ohne, dass gleich auf meine Ethnizität Bezug genommen wird. Das ist ja auch der Spagat in diesem Buch, was dem ansonsten gelungenen Projekt den klitze-kleinen Riss, wie ich meine, gibt: das äußerst sensible Herausgeberteam hat sich vorgenommen die Befindlichkeiten von InderKindern über das Aufwachsen und Leben in Deutschland zu eruieren, aber nicht alle InderKinder waren mit der (Selbst)-Definition und (Selbst)-Repräsentation einverstanden. Wir, die großen und die kleinen Inderkinder, können aber gut mit Widersprüchen leben. So ist das Resultat auf jeden Fall spannende, aufschlußreiche Lektüre.
Navina Sundaram arbeitete als politische Frensehredakteurin und Auslandskorrespondentin beim NDR in Hamburg und ist seit 2005 im Ruhestand.