Bad Boller Seminare

„Indische Wurzeln – Deutsche Heimat“
- 10 Jahre Bad Boller Jugendseminar

aus: Goel, Urmila (2003), "Indische Wurzeln - Deutsche Heimat" (als pdf), in: DIG e.V., Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Deutsch-Indischen Gesellschaft 1953 - 2003 (als pdf), Stuttgart, 2003, 83-86.

Juni 2003: Bad Bollywood lädt zum indischen Filmfestival. Mit „Lagaan“, „Fire“ und „Bend it like Beckham“ geht „Bad Boll“ - das Jugendseminar der Deutsch-Indischen Gesellschaft in der Evangelischen Akademie Bad Boll - in das zehnte Jahr.

Angefangen hat alles in den frühen 90er Jahren. Die DIG steuerte auf die 40 zu und stellte fest, dass auch die BesucherInnen der Veranstaltungen und die Aktiven mit der Zeit immer älter geworden waren. Dies galt auch für die Kinder der Aktiven, die nun langsam keine Kinder mehr waren. Sie ließen sich nicht mehr einfach von ihren Eltern zu den DIG-Aktivitäten mitnehmen. Das klassische Programm der DIG stiess nur auf geringe Begeisterung bei ihnen. Im Beirat und den Zweiggesellschaften wurde daher diskutiert, wie die DIG für Jugendliche interessanter werden könnte. Es blieb nicht bei reinen Diskussionen, aus der Zweiggesellschaft Karlsruhe kam der Vorschlag für ein Jugendseminar. Und auch bei dem Vorschlag blieb es nicht. Dr. Balbir Goel entwickelte ein Konzept, gewann die Evangelische Akademie Bad Boll nicht nur als Veranstaltungsort sondern auch als Mitveranstalter, warb Spenden und die Unterstützung vieler Beiratsmitglieder. So konnte dann 1994 die DIG zum erstenmal junge Erwachsene nach Bad Boll einladen.

Ein paar Tage vor dem Seminarbeginn lagen die Nerven blank. Die Anmeldezahlen waren minimal. Es schien ein Flop zu werden. Wurde es aber nicht. Ganz im Gegenteil – es wurden ein großer Erfolg. Ein kleiner Schönheitsfehler, der sich über die nächsten zehn Jahre halten würde, war eben nur, dass die jungen Leute sich nicht rechtzeitig anmeldeten.

Die Verweigerung der Anmeldefrist war aber kein Zeichen für Desinteresse. Die jungen Leute kamen nicht nur zum Zuhören. Sie meldeten sich schon bald zu Wort. Die Vorträge der Beiratsmitglieder fanden sie zwar interessant, aber sie wollten sich selber einbringen, ihre eigenen Themen besprechen. So warfen sie bald das Seminarprogramm über den Haufen und gestalteten ihr eigenes. Anstatt über den Undank der Jugend zu lamentieren – was naheliegend gewesen wäre -, unterstützten die ReferentInnen und Organisatoren die jungen Engagierten hierbei. Sie ermöglichten so eine sehr fruchtbare Diskussion und eine hervorragende Stimmung. Am Ende des Wochenendes stand dann auch der einhellige Wunsch aller Beteiligten nach einer Wiederholung des Seminars – gepaart mit der Bereitschaft bei der Organisation mitzuwirken.

Mit vollem Eifer bestimmten die TeilnehmerInnen die Themen für das nächste Seminar und überlegten sich, wie das Seminar am besten zu gestalten sei. Neben den „erwachsenen“ Experten sollte es nun gleichberechtigt junge Experten geben, die referierten. Ab dem dritten Seminar standen dann von jungen Menschen geleitete Arbeitsgruppen im Mittelpunkt jedes Seminars. In der Regel waren es drei parallel laufende, von denen zwei sich mit Indien und eine mit dem Leben in Deutschland beschäftigten. Ergänzt wurden diese durch ein oder zwei Vorträge zum Hauptthema.

Zu den Seminaren kamen und kommen junge Menschen aus ganz Deutschland – von Kiel bis München, von Aachen bis Dresden. Sie haben ein oder zwei Elternteile aus Indien oder aber Pakistan. Einige sind adoptiert von Deutschen, andere haben einen anderen Migrationshintergrund oder sind schlicht interessierte Deutsche. Immer dabei sind auch ein paar Vertreter der ersten Generation. Die jüngsten sind gerade 16 Jahre alt, die ältesten schon in Rente. Jedes Jahr ist so für eine vielfältige und diskussionsfreudige Gruppe gesorgt.

„Bad Boll“ ist nicht nur informativ, es macht auch Spass und motiviert. Viele ehemalige TeilnehmerInnen kommen wieder, als TeilnehmerInnen oder ArbeitsgruppenleiterInnen. Es kommen aber auch jedes Jahr neue dazu. Und dies gilt schon seit 10 Jahren. Am Ende jedes Seminars ist die gleiche Begeisterung zu spüren.

In „Bad Boll“ fühlen sich die jungen Menschen wohl. Sie selber bestimmen die Themen. Sie überlegen, wie diese Themen am besten erarbeitet werden. Und sie führen das Seminar durch. Das wichtigste aber ist, dass sie hier andere wie sich selber treffen – andere Indo-Deutsche. Diese anderen haben auch irgendwie ihre Wurzeln in Indien und sind in Deutschland zu hause. Die anderen sind auch dunkler als die Standard-Deutschen, auch sie haben ungewöhnliche Namen und Eltern, die andere Vorstellungen haben als die deutschen. Die anderen können genauso gut, dass indische Englisch nachmachen, und erkennen einen Bollywood-Film auf Anhieb. Keiner muss sich groß erklären, man versteht sich ohne viele Worte. Keiner ist allein – und das zu erleben tut gut.

Die zweieinhalb Tage in der schwäbischen Provinz sind immer wieder so prägend, dass dauerhafte Freundschaften entstehen. Unter den ehemaligen TeilnehmerInnen bildet sich ein Netzwerk, man kennt sich und unternimmt auch anderes gemeinsam. Es entsteht eine Aufbruchstimmung. Lokale Jugendgruppen werden gegründet oder vernetzen sich.

Der indische Botschafter Rana, der das erste Seminar eröffnet hat, ist so beeindruckt, dass er ein paar Monate später eine Gruppe von jungen Indo-Deutschen in die Botschaft einlädt. Die deutsch-indische Zeitschrift „Meine Welt“ macht eine eigene Rubrik für die zweite Generation auf. Die Zweiggesellschaften der DIG unterstützen die Initiativen von jungen Menschen, in den Beirat wird eine Jugendvertreterin berufen, ein Jugend Forum wird gegründet, dass Vorschläge für die Jugendarbeit der DIG entwickelt.

Über die Jahre hat „Bad Boll“ vielen TeilnehmerInnen wichtige Anregungen, Fragen und Freundschaften gegeben. Aus „Bad Boll“ sind viele Initiativen geboren oder unterstützt worden. Und dies obwohl das Engagement von jungen Menschen nicht immer einfach für einen Verein wie die DIG ist. Sie wollen selbst bestimmen und gestalten, sie wollen unabhängig sein und brauchen doch finanzielle und organisatorische Unterstützung. Damit stellen sie den „Alten“ eine ziemliche Herausforderung. Doch diese zu meistern ist die beste Investition in die Zukunft.

© Urmila Goel, urmila.de / Desis in Deutschland/ Zweite Generation /Jugendseminare / Bad Boll 2007