Veröffentlichungen von Urmila Goel zum Forschungsprojekt Die virtuelle zweite Generation
Auszug aus Artikel erschienen in: Südasien, 1/04, 74-77. (Text als pdf)
Im folgenden wird die Diskussion auf www.theinder.net zusammengefasst. Die dort benutzen Nicknames der NutzerInnen werden übernommen.
Donnerstag, der 13.05.04, 10.00 Uhr der Deutschlandfunk meldet das überraschende Ergebnis der indischen Wahlen. Die BJP hat sich mit den vorgezogenen Wahlen verkalkuliert und die Macht verloren. Mich interessiert, was die anderen InderInnen der zweiten Generation dazu sagen. Ich gehe um 10.13 Uhr ins Nachrichten und Medien-Forum der Internetplattform www.theinder.net und frage nach.
11.29 Uhr: Shogun aus der Schweiz reagiert als erster. Ihn interessiert, was denn wohl Sonia Gandhis zukünftige Rolle sein und was die neue Regierung tatsächlich machen wird.
11.49 Uhr meldet sich auch MumphaleE von seinem Studienort in London überrascht zu Wort. Er ist erst vor kurzem aus Indien wieder gekommen und dort hatten alle mit einem Sieg der BJP gerechnet. Nun vermutet er, dass Sonia Gandhi Premierministerin wird.
13.36 Uhr: Auch SherryK aus Heidelberg teilt die Überraschung. Der BJP-Slogan "India is Shining" hat wohl nicht geklappt. Ob der Congress wirklich Veränderungen bringen wird, bezweifelt er aber. Er sagt allerdings voraus, dass es Sonia Gandhi schwer haben wird, da sie keine gebürtige Inderin ist und außer ihrem Namen nichts in der Politik erreicht habe.
13.50 Uhr: me_SIS hakt bei Sonia Gandhi ein. Sie trage den Namen des Mahatma ungerechtfertigter Weise, denn ihre Schwiegermutter Indira habe eigentlich einen Mr. Gandi geheiratet. Auch me_SIS ist vom Wahlergebnis überrascht und gar nicht erfreut. Die Dynastie der Gandhis sei doch eher ein Zeichen für eine Monarchie denn für eine Demokratie.
Nun ist erstmal Schweigen online. Am Freitag, 14.05.04 um 16.54 Uhr hat SherryK weiter recherchiert und bietet neue links an. Mitten in der Nacht geht dann plötzlich die Diskussion weiter.
22.56 Uhr: girly meldet sich mit einem Rückblick auf die indische Politik zu Wort. Vajpayee habe viel Positives erreicht. Insbesondere habe er die BJP, zu einer integrierenden Kraft entwickelt, die mit über 20 Koalitionspartnern eine erfolgreiche Politik gemacht habe. Er habe die Annäherung an Pakistan erreicht und so die Kriegsgefahr verringert. Außerdem habe er Indien den USA angenähert und das Verhältnis zu China entspannt. Mit 8% Wirtschaftswachstum sei Indien eine der prosperierensten Volkswirtschaften der Welt, im Industrie- und Dienstleistungssektor gebe es Rekordgewinne und die Bombayer Börse haben einen steigenden Index. Es gebe allerdings auch Probleme. Das Symbol der boomenden Wirtschaft, die IT-Branche, sei gesamtökonomisch eher unbedeutend, die Landbevölkerung bleibe arm und die Energie- und Verkehrsinfrastruktur schlecht. Es gebe Korruption und fundamentalistische Tendenzen, Übergriffe gegen Christen und Muslime. Vajpayee habe Gujarat zwar verurteilt, aber Modi nicht entlassen. Sein politisch und wirtschaftlich liberaler Kurs solle aber eingehalten werden, dann könne sich Indien langfristig als politische Großmacht etablieren. Sonia Gandhis Erfolg findet
girly problematisch. Sie müsse wohl von armen Analphabeten gewählt worden sein. Wer sonst könne eine ungebildete Hausfrau zur Premierministerin machen?
23.58: me_SIS fragt nach, ob Sonia Gandhi nicht Stewardess gewesen sei. Ihr Mann sei ja Pilot gewesen.
Samstag, 15.05.04, 1.53 Uhr: Shogun weist girlys ablehnende Haltung zu Sonia Gandhi und ihr Lob von Vajpayees Regierung zurück. Er verweist darauf, dass die Opposition Druck für die Annäherung an Pakistan gemacht habe. Ihm ist es egal, wer Indien regiert, solange Soziales in Angriff genommen wird. Wenn Sonia an Indien denke, sei ihm das recht.
12.35 Uhr: deewana weist darauf hin, das nicht Sonia sondern der Congress gewählt wurde, auch wenn sie wesentlichen Anteil an dessen Erfolg hatte. Er fordert eine Chance für sie.
20.33 Uhr: Pandit S zitiert die BJP-Politikerin Uma Bharati: "It will indeed be sad, if a foreigner becomes our PM. There is a big difference between becoming an Indian citizen and being Indian.", und widerspricht dieser Sicht mit einem Verweis auf das hohen Ansehen der albanischen Mutter Theresa in Indien. Zudem sei Schwarzenegger Gouverneur in den USA, das spreche für Freiheit. Warum solle in Indien nicht eine Italienerin Premierministerin werden?
Pandit S kommt es auf Fachkompetenz und Auftreten an. Sonia werde sicher Probleme wegen ihrer Herkunft und ihres Geschlechts bekommen, aber wie
deewana fordert er eine Chance für sie.
Sonntag, 16.05.04, 0.17 Uhr: Yuvmon meldet sich zu Wort und stimmt girly vollkommen zu. Er ist gegen Sonia als Premierministerin, das solle eine InderIn werden. Denn nur ein Inder könne eine Identifikationsfigur sein. Auch in den USA könne Schwarzenegger zwar Gouverneur aber nicht Präsident werden. In Deutschland gebe es keinen Minister türkischen Ursprungs und in Italien keinen indischen. Der Japaner Fujimori hätte die Peruaner nicht regieren können und sei nun im japanischen Exil. Vajpayee hätte
Yuvmon einen würdigeren Abgang gewünscht, er hätte von sich aus Jüngeren Platz machen sollen und wäre dann als großer Politiker in die indischen Geschichtsbücher eingegangen.
6.57 Uhr: Nedalpo verweist darauf, dass auch Mitglieder von Dynastien erst durch demokratische Wahlen ihre Ämtern bekämen.
12.23 Uhr: Sindbad ist verwundert über die Ablehnung Sonia Gandhis durch theinder.net-NutzerInnen. Schließlich lebten sie alle selber im Ausland, sollten kosmopolitisch denken, plädieren immer für Gleichberechtigung in Deutschland und sind Stolz auf indischstämmige Bundestagsabgeordnete. Von ihnen hätte er anderes erwartet. Er findet Indien könne ruhig eine internationale Vorreiterrolle übernehmen und ruft dazu auf, säkular zu denken. Außerdem bestreitet er, dass die Regierung Vajpayee Indien zum Scheinen gebracht hat. Nur die oberen 15% hätten profitiert. Ob der Congress anders sein wird, sei allerdings abzuwarten.
12.41 Uhr: Shogun schließt sich Pandit S und Sindbad an. Die PremierministerIn müsse nicht durch ihre Herkunft sondern mit dem Herzen InderIn sein und an das indische Volk denken.
13.04 Uhr: MumphaleE weist Yuvmon darauf hin, dass in den USA eine Gesetzesänderung diskutiert würde, die es auch Eingebürgerten erlaube, eine Präsidentschaft anzustreben. Er schließt sich
Sindbads Verwunderung darüber an, dass die theinder.net-NutzerInnen, die an ihrem Wohnort Vorzüge genießen, diese MigrantInnen in Indien nicht gewähren wollen.
17.06 Uhr: girly reagiert auf die Kritik mit Zweifeln an Sindbads Toleranz. Sie bezweifelt auch das Engagement des Congress für die Armen. Immerhin habe Vajpayee die oberen 15% gefördert und Indien zur prosperierensten Volkswirtschaft der Welt gemacht. Von ihr aus könne Sonia trotzdem Premierministerin werden, schließlich hätten immer Ausländer Indien regiert. Nur habe Sonia keine Bildung, könne weder Englisch noch Hindi richtig und könne daher Indien nicht repräsentieren.
18.06 Uhr: Punjabaan aus Salzburg findet politische Absichten wichtiger als Sprachkenntnisse.
19.18 Uhr: Sindbad wendet sich dezidiert gegen girlys Ausführungen und ergänzt, dass eine Beteiligung der Kommunisten an der Regierung den freien Handeln behindern könne, ein radikaler Kurswechsel aber nicht zu erwarten sei.
22.19 Uhr: girly verteidigt sich. Ein Premierminister müsse Englisch können, um mit anderen Staatsmännern zu kommunizieren. Die Toleranz der Inder erstaune sie immer wieder. Dann verweist sie noch darauf, dass wie in Peru Fujimori in Fiji ein indischstämmiger Premierminister aus dem Amt gedrängt wurde.
22.19 Uhr: Shogun wundert sich, dass alle Staatsmänner der Welt Englisch können. Insbesondere die chinesischen, Berlusconi, Schröder, etc. Er dachte immer sie hätten Übersetzer.
22.56 Uhr: Yuvmon kommt wieder zu girlys Unterstützung. Er weist
MumphaleE auf den Unterschied zwischen politischer Diskussion und Umsetzung hin. In Deutschland sei auch über eine doppelte Staatsbürgerschaft diskutiert worden, eingeführt aber wurde sie nicht - wofür er vollstes Verständnis habe. In den USA solle erst einmal ein Afro-Amerikaner gewählt werden. Und ein indischstämmiger Abgeordneter wäre etwas anderes als Sonia als Premierministerin. Das sei keine Frage von Toleranz sondern eine Glaubens- bzw. Identifikationsfrage. Unter der Milliarde Inder müsse doch eine fähige Person sein. Mit Sonia könne er sich nicht identifizieren. In Deutschland würde er es auch schlecht finden, wenn ein Eingebürgerter Kanzler würde.
Montag, 17.05.04, 11.56 Uhr: Für Sindbad ist es eine Frage der Weltoffenheit. Kompetenz, nicht Herkunft sei entscheidend. Aber vielleicht wäre es ja für
Yuvmon beruhigend, dass Gandhis im Amt keine lange Lebensdauer haben.
Die Meinungen über Sonia Gandhi als Premierministerin sind ausgetauscht. Die beiden Lager behalten ihre Meinung und lassen die Diskussion ruhen. Gleichzeitig geht die politische Entwicklung in Indien weiter. Am Dienstag, den 18.05.04 um 14.52 Uhr meldet Sindbad, dass Sonia nicht Premierministerin werden will.
16.12 Uhr: SherryK verweist auf einen Congress-Politiker, der mit Selbstmord gedroht hat, sollte Sonia nicht Premierministerin werden.
19.58 Uhr: deewana bekennt, dass die anti-Sonia-Gandhi-Clique ihn immer mehr zu ihrem Fan macht.
21.10 Uhr: Shogun vermutet, dass Sonia ihren Rückzieher macht, um ihrem Sohn einen späteren Weg zum Amt des Premierministers offen zu halten. Außerdem verweist er auf ihre wahrscheinliche Angst vor einem Attentat.
21.34 Uhr: MumphaleE widerspricht Shogun. Sicherheitsbedenken spielen sicher eine Rolle, entscheidend sei aber wohl die Kritik an ihrer Herkunft gewesen.
23.11 Uhr: Shawnkemp aus Rüsselsheim möchte wissen, ob sich der Congress-Politiker jetzt umgebracht habe.
Mittwoch, 19.05.04, 13.35 Uhr: jAy aus der Schweiz hält das Risiko eines Attentats für real und vermutet, dass Sonia das nicht riskieren wolle.
17.03 Uhr: Shogun bleibt bei seiner Vermutung, dass es um den Sohn geht, und stellt den Lebenslauf von Manmohan Singh ins Netz.
20.34 Uhr: deewana hat das Gefühl, dass Gott leider auf die anti-Sonia-Gang gehört habe, und ist gespannt, was die neue Regierung mache werde.
Damit scheint alles gesagt, die Diskussion bricht ab. Am Samstag, den 22.05.04 um 9.33 Uhr versuche ich sie wieder in Gang zu bringen und kommentiere den Rückzug von Sonia Gandhi und die Wahl von Manmohan Singh.
12.54 Uhr: deewana verweist ironisch darauf, dass wir nun von einem Sardarji regiert werden.
13.15 Uhr: crying aus Zürich findet, dass Sonia repräsentativer gewesen wäre als Manmohan Singh.
16.15 Uhr: jAy meint Sonia wäre nun eine Devi.
17.44 Uhr: girly findet es nicht so schlimm, dass Manmohan Singh ein Sardar ist, wenigstens sei er gebildet. Die Akzeptanz Sonias durch die Bevölkerung hätte gezeigt, wie tolerant die Inder seien. Manmohan Singh sei ja auch in Pakistan geboren.
18.55 Uhr: Ich verweise darauf, dass es Pakistan zu Manmohan Singhs Geburt noch gar nicht gegeben habe und er wohl eher gebürtiger Brite sei.
Sonntag, 23.05.04, 2.43 Uhr: Shogun fragt girly, ob es schlimm sei, dass er aus Pakistan stamme.
12.02 Uhr: girly verneint das. Sie hätte nur Fakten angeführt. Schließlich sei er im heutigen Pakistan geboren.
Damit scheint alles gesagt. Die Diskussion, zumindest die politische, ist zu Ende.
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