Forschungsprojekt: Die virtuelle zweite Generation

Wissenschaftliche Ergebnisse

Stand: August 2006

Ziel des Forschungsprojektes „Die virtuelle zweite Generation“ war es die Nutzung eines ‚ethnisch’ definierten virtuellen Raumes (das Internetportal www.theinder.net, genannt das Indernet) durch ‚InderInnen der zweiten Generation’ in ‚Deutschland’ zu analysieren und dabei besonders darauf zu achten, wie in diesem Raum ‚ethnische’ Identität ausgehandelt wird. Damit war das Projekt in zwei großen Forschungsbereichen angesiedelt: den Internetstudien und der Migrations- bzw. Rassismusforschung. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind daher auch in beiden Bereichen erfolgt und werden im folgenden getrennt dargestellt. Dabei wird ein Schwerpunkt auf die Ergebnisse im Bereich Internetforschung gelegt, da diese eher methodisch sind und in den Publikationen weniger Beachtung finden.

Internetforschung

Seit etwa einem Jahrzehnt gibt es einen regelrechten Boom in den Internetstudien. Das neue Medium fasziniert nicht nur NutzerInnen sondern auch WissenschaftlerInnen aller Disziplinen. Die Internetstudien haben sich daher interdisziplinär entwickelt, nutzen Methoden ganz unterschiedlicher Disziplinen und entwickeln nur nach und nach spezifische Internetvorgehensweisen (siehe z.B. Döring 2003, Hine 2000 und 2005, Gajjala 2004 sowie Miller und Slater 2000). Dadurch dass viele WissenschaftlerInnen beginnen, über das Internet zu forschen, ohne einen Überblick über die methodischen und inhaltlichen Debatten der Internetstudien zu haben, besteht die Gefahr, dass immer wieder die gleichen Fragen gestellt, die gleichen Fehler gemacht und damit das Potential zur Weiterentwicklung der Internetstudien nicht ausgenutzt wird.

Internetstudien erfordern eine besondere Aufmerksamkeit was das methodische Vorgehen angeht. Wie jedes andere Feld auch ist ein virtueller Raum ein besonderes Feld, das spezifische Methodik erfordert. Auf den ersten Blick erscheint Internetforschung sehr einfach, da scheinbar alle Interaktionen online beobachtbar und dokumentierbar sind (vgl. Paccagnella 1997). Auch dieses Forschungsprojekt sollte sich anfangs vor allem auf die Beobachtung des Internetportals stützen. Interviews waren nur unterstützend geplant. Die durchgeführten Interviews zeigten aber bald, dass nur ein sehr kleiner Teil der Internetnutzung durch die ForscherIn auch beobachtbar ist. Bei der Beobachtung kommen automatisch interaktive Foren und Chats in den Fokus, da sich hier am meisten verändert. Es erscheint als ob hier das NutzerInnenverhalten am besten beobachtbar ist. Tatsächlich ist allerdings nur ein geringer Teil der NutzerInnen aktiv am Schreiben von Beiträgen beteiligt. Konzentriert sich die ForscherIn auf die interaktiven Elementen, kann sie damit nur die kleine Gruppe der aktiv schreibenden NutzerInnen analysieren. Durch Interviews – oder auch Beobachtungen der NutzerInnen offline – lassen sich Informationen über das Nutzungsverhalten erheben. So wurde im Laufe der Interviews dieses Forschungsprojekts zum Beispiel deutlich, dass es sehr unterschiedliche Nutzungstypen gibt: so lesen einige nur die Artikel, andere schauen hauptsächlich in den Veranstaltungsteil, wieder andere lesen die Forumsbeiträge und einige davon schreiben auch selber. Die Ergänzung der Beobachtung der virtuellen Räume durch Interviews und Beobachtungen offline ergibt damit eine komplexere Wahrnehmung des virtuellen Raums und seiner Nutzung. So lässt sich auch das häufig in der Internetforschung diskutierte Problem (siehe Döring 2003), dass LurkerInnen (NutzerInnen, die nur lesen und nicht schreiben) nicht beobachtbar sind, angehen. Zum besseren Verständnis des Internetportals und seiner Bedeutung hat auch die gezielte Befragung von NichtnutzerInnen geführt. Jene ‚InderInnen der zweiten Generation’, die das Indernet kennen, es aber nicht nutzen, gaben als Vergleichsgruppe interessante Einblicke in die Motivation zur Nutzung.

Insbesondere um LurkerInnen und NichtnutzerInnen eines virtuellen Raums zu identifizieren, bedarf es einer intensiven Beschäftigung mit dem Internetraum und seinem Umfeld. LurkerInnen und NichtnutzerInnen sind online nicht zu beobachten, deswegen müssen sie durch einen anderen Zugang zum Feld erkannt werden. Hierbei spielen wie bei anderen Feldern Gatekeeper und der Aufbau von Vertrauen eine zentrale Rolle. In diesem Forschungsprojekt konnte die Projektmitarbeiterin auf ihre jahrelange Arbeit mit ‚InderInnen der zweiten Generation’ aufbauen, da sie bereits Strukturen kannte, Kontakte hatte, bekannt und anerkannt war. Dies half sowohl im Identifizieren und Ansprechen von LurkerInnen und NichtnutzerInnen als auch beim Gewinnen von InterviewpartnerInnen allgemein.

Beim Interviewen zeigte sich, dass virtuelle Interviews im Gegensatz zu Face-to-Face-Interviews eine anderes Vorgehen brauchen. Abgesehen davon, dass bei einem virtuellen Interview, das Beobachtbare auf das Schriftliche reduziert ist und damit andere Indikatoren wie der Habitus und das Umfeld nicht beobachtbar sind, ist auch die Dynamik des Interviews eine andere. Die InterviewpartnerIn hat jederzeit die Möglichkeit des einfachen Ausstiegs, insbesondere wenn das Interview anonym geführt wird. Zudem ist es schwieriger, die InterviewpartnerIn zu narrativen Antworten zu motivieren. Gleichzeitig kann das virtuelle Interview eine viel stärker willentlich geprägte Selbstpräsentation sein, da die InterviewpartnerIn sich beim Antworten Zeit lassen und ihre Antworten überarbeiten kann. Die ForscherIn muss sich sowohl bei der Planung wie der Auswertung dieser Spezifika eines virtuellen Interviews bewusst sein.

Bei der Internetforschung kommen auch besondere forschungsethische Fragen auf (siehe dazu Döring 2003 und Gajjala 2004). So können die virtuellen Räume nicht einfach als öffentlicher Raum, in dem Feldbeobachtung ethisch zulässig ist, angenommen werden. Viele virtuelle Räume werden, obwohl es keine Zugangsbeschränkungen gibt, als nicht-öffentliche, insbesondere nicht-forschungsöffentliche Räume verstanden. Da es aber bei virtuellen Räumen, so lange der Zutritt nicht auf eine begrenzte Zahl von bekannten NutzerInnen beschränkt ist, unmöglich ist, von allen NutzerInnen eine Zustimmung zur Feldbeobachtung zu bekommen und es auch nicht möglich ist, die Beobachtung für alle NutzerInnen immer erkennbar zu gestalten, ergibt sich eine besondere Verantwortung für die teilnehmende BeobachterIn. Diese ergibt sich auch bei der späteren Verschriftlichung von Forschungsergebnissen. Auf der einen Seite muss verstärkte Aufmerksamkeit auf die Anonymisierung gelegt werden, da Zitate über Suchmaschinen aufzufinden und zuzuordnen sind, auf der anderen Seite muss auch das Copyright der VerfasserInnen von Beiträgen gewahrt werden. Auch hier ergibt sich das Problem, dass der Kontakt zu NutzerInnen häufig schwer herzustellen ist, da es keine Kontaktadressen gibt, diese veraltet sind oder keine Antwort erfolgt. Auch hier gibt es keine einfache Lösung aus forschungsethischer Sicht.

Diese Beispiele zeigen, dass Internetforschung eine eigenständige Entwicklung und Diskussion von Methodik und Forschungsethik erfordert. Die Vorgehensweise, wie sie für andere Felder entwickelt wurde, kann nicht einfach unbesehen übernommen werden. Des weiteren darf das Internet auch nicht als ein einheitlicher Raum verstanden werden. Das Medium Internet bzw. die Technologie eröffnet eine Vielfalt von unterschiedlichen in der einen oder anderen Weise miteinander verbundenen Räumen. Diese Räume sind individuell gestaltet und haben jeweils unterschiedliche Kommunikationsformen. So ist bereits bei der Analyse eines Internetportals grundsätzlich zwischen den redaktionellen und den interaktiven Teilen zu unterscheiden sowie dann jeweils noch auf weitere Unterteilungen zu achten. Internetforschung ist somit ein recht ungenauer Überbegriff, der in jedem Einzelfall immer wieder spezifiziert werden muss. Wenn der Schwerpunkt der Analyse das Internet ist, muss genau festgelegt werden, welcher Aspekt von Interesse ist und wie dieser kontextualisiert ist. Wenn hingegen der Schwerpunkt der Analyse auf etwas anderem, wie zum Beispiel der Aushandlung ‚ethnischer’ Identität, liegt, dann muss genau analysiert werden, welche virtuellen Räume eine Rolle spielen, wie diese untereinander und mit anderen Räumen im Zusammenhang stehen.

Das Indernet

Auch Miller und Slater (2000) betonen, dass bei Internetethnographie die Einbettung der Internetnutzung in das alltägliche Leben wichtig ist. Wenige virtuelle Räume können unabhängig von physischen Räumen gedacht werden, bei den meisten spielt die Interaktion mit anderen Räumen eine zentrale Rolle. So war auch für dieses Forschungsprojekt der Ausgangspunkt, dass sich das Indernet nur in Zusammenhang mit anderen (physischen) Räumen dynamisch entwickeln konnte. Dies ist bei der Feldforschung zu beachten, es muss bewusst auch Material zu dieser Interaktion gesammelt werden. Dabei kann auch beobachtet werden, was an der Kommunikation im virtuellen Raum spezifisch ist und wo der virtuelle Raum nur ein weiterer Raum wie die anderen auch ist. Bei der Analyse des Indernets hat sich gezeigt, dass in diesem Fall manche Spezifika des Internets (wie Anonymität, große Distanzen überwinden, zeitgleiche Kommunikation) eher unwichtig sind, während andere (Überwindung geographischer Verteilung in Deutschland, Etablierung eines eigenen Raums mit wenig Ressourcen, Etablierung einer eigenen Öffentlichkeit) von großer Bedeutung sind (zu den Spezifika siehe Döring 2003). Das Indernet zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es ein eigener Raum jenseits der hegemonialen Machtverhältnissen offline ist, der den ‚InderInnen der zweiten Generation’ ermöglicht, sich selbst bestimmt, nach den eigenen Bedürfnissen und Regeln mit der ihnen verweigerten natio-ethno-kulturellen (Mehrfach-)Zugehörigkeit (Mecheril 2003) auseinanderzusetzen. (siehe hierzu Goel 2005a)

Eine gängige Vorstellung ist, dass das Internet mühelos Grenzen überwindet und damit das ideale transnationale Medium ist. Eine der Hypothesen des Forschungsprojekts war, dass das Indernet transnational lokal ist, sich also zwar auf einen transnationalen Kontext bezieht, dabei aber im deutschsprachigen Raum lokalisiert bleibt. Die Grenzen die durch das Indernet überwunden werden sind nicht ‚nationale’ sondern jene, die die ‚deutsche’ Gesellschaft strukturieren. Die ‚InderInnen der zweiten Generation’ können durch das Indernet zumindest temporär ihre Marginalisierung, ihr Andersgemachtwerden in ‚Deutschland’ überwinden. Der virtuelle Raum Indernet ist für die meisten ein ohne große Hürden zu erreichender Raum, in dem sie andere die in Bezug auf natio-ethno-kultuerelle (Mehrfach-)Zugehörigkeit ähnlich wie sie sind, treffen können. So können sowohl die geographische Verteilung in ‚Deutschland’ wie die gesellschaftlich definierte ‚Fremdheit’ vorübergehend überwunden werden. (siehe hierzu Goel 2005a und 2007) Hilfreich hierbei ist, dass der virtuelle Raum scheinbar auch ‚nationale’ Grenzen überwindet. So können sich die NutzerInnen in einem transnationalen Raum imaginieren, ohne dass sie tatsächlich ‚nationale’ Grenzen überschreiten. Das Indernet verbindet nicht tatsächlich mit anderen Ländern, in dem Sinne dass Interaktion mit NutzerInnen in anderen Ländern stattfindet, es imaginiert aber eine Verbindung und ist in diesem Sinne transnational.

Die letzten beiden Punkte verschränken bereits die Internet- mit der Migrations- und Rassismusforschung. Wobei zwischen Migrations- und Rassismusforschung durchaus noch unterschieden werden muss. Beide sind wie die Internetforschung interdisziplinär angelegt. Die Migrationsforschung stellt in den Mittelpunkt ihrer Analyse Migration und ihre Folgen, die Rassismusforschung (zu Beispiel Mecheril 2003 und Eggers et al 2005) hingegen fokussiert auf hegemoniale Macht, die Konstruktion sozialer Ungleichheit sowie Ausgrenzungsprozesse. Beide Forschungsansätze sind zwar miteinander verbunden, haben aber unterschiedliche Perspektiven auf den gleichen Forschungsgegenstand. Im Laufe des Forschungsprojekts wurde klar, dass nicht so sehr das Medium Internet den Schwerpunkut bilden sollte sondern eher die Perspektive der ‚InderInnen der zweiten Generation’. Während sich ein großer Teil der Migrationsforschung auf Fragen, die die ‚Mehrheitsgesellschaft’ beschäftigen, wie z.B. ‚Integration’, konzentriert, ermöglicht die Analyse des Indernets einen Perspektivwechsel auf die Erfahrungen der ‚zweiten Generation’, die durch verweigerte Zugehörigkeit, Ausgrenzung und Rassimus gekennzeichnet sind, sowie die von ihnen entwickelten Strategien im Umgang mit diesen Erfahrungen.

Das Indernet kann als ein Raum der zweiten Generation (Heft und Goel 2006) verstanden werden. Er bietet einen Ort der Zuflucht von den Ausgrenzungs- und Rassismuserfahrungen, die ‚InderInnen der zweiten Generation’ überwiegend subtil an den Orten, die durch die ‚Weiße deutsche’ Gesellschaft geprägt sind, erleben (Goel 2005a). Während sie an ‚Weißen’ Orten immer wieder erfahren, dass sie als ‚Anders’ wahrgenommen werden, dass sie der natio-ethno-kulturellen Norm nicht entsprechen, können sie auf dem Indernet davon ausgehen, dass sie dort Teil der durch natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-)Zugehörigkeit gekennzeichneten Norm sind. Diese Gewissheit ermöglicht ihnen ein Ausruhen und Entspannen von der permanenten Anspannung durch antizipierte Verweigerung von Zugehörigkeit. Sie ermöglicht auch eine positive Zugehörigkeitserfahrung (Mecheril 2003): auf dem Indernet fühlen sie sich zugehörig und werden gleichzeitig als zugehörig anerkannt. Sie befinden sich unter natio-ethno-kulturell Gleichen, die ähnliche Erfahrungen machen wie sie, mit denen sie sich hierüber austauschen und Strategien für den Umgang entwickeln können. Gleichzeit ist das Indernet ein Ort, an dem ‚InderInnen der zweiten Generation’ Informationen über den ihnen zugeschriebenen Zugehörigkeitskontext ‚Indien’ erhalten können, um im Kontakt mit ‚Weißen Deutschen’ in den Herkunftsdialogen (Battaglia 1995) bestehen zu können. Der zeitweise Rückzug in das Indernet kann somit die einzelnen NutzerInnen stärken, ihr Alltagsleben in ‚Weißen deutschen’ Kontexten besser zu bestehen. Dabei ist das Indernet zwar ein Raum der zweiten Generation, aber dieser ist weder abgeschlossen (auch ‚Weiße’ haben Zugang und nutzen das Indernet aktiv) noch ist es eine parallele Welt zu anderen Räumen. Das Indernet ist auf vielfältige Weise mit vielen anderen Räumen verwoben und verbunden. Es ist ein Raum, der auf die Forderung nach eindeutiger natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit in anderen Räumen reagiert und die Ausgrenzungserfahrungen auf dieser Ebene angreift. Dabei werden allerdings andere Formen der sozialen Ungleichheit wie Heteronormativität nicht in Frage gestellt. Dort wo die NutzerInnen, von der Konstruktion sozialer Differenz nicht selbst betroffen sind, dort arbeiten sie auch nicht alle gemeinsam an Strategien gegen diese, dort reproduzieren sie die Strukturen der ‚Mehrheitsgesellschaft’. (Goel 2007)

Begriffe und Co.

Während der Ausgangspunkt des Forschungsprojekts noch stark auf der Differenzierung von dem ‚Eigenen’ und dem ‚Fremden’ im Sinne von unterschiedlichen Identitäten auf der Basis von natio-ethno-kultureller ‚Herkunft’ lag, hat sich der Schwerpunkt im Lauf des Projekts auf die Konstruktion des ‚Fremden’ in Folge von hegemonialer Macht, Konstruktion sozialer Differenz und Rassismus verlagert. Die NutzerInnen des Indernets vereint viel weniger eine gemeinsame Herkunft aus ‚Indien’ als eine gemeinsame Erfahrung des Verwiesenwerdens auf ‚Indien’. Damit geht es weniger darum, was die ‚InderInnen der zweiten Generation’ sind und was sie machen, sondern mehr darum, wie sie zu ‚InderInnen der zweiten Generation’ werden, welche Erfahrungen sie dabei machen und wie sie darauf reagieren. Diese Verschiebung der Fragen bedeutet eine generelle Perspektivverschiebung und eine theoretisch in der Rassismusforschung verankerte Analyse der Konzepte des ‚Eigenen’ und des ‚Fremden’.

Die Ergebnisse der Feldforschung, die Auseinandersetzung mit der Fachliteratur sowie die Diskussion mit anderen WissenschaftlerInnen haben im Laufe des Projekts immer deutlicher gemacht, dass Begriffe, Konzepte und Ansätze nie richtig, nie objektiv sein können, sie nicht jenseits der ForscherIn und ihrer Fragestellung legitimiert sind. Sie sind kontingent, könnten auch andere sein, ohne dabei willkürlich zu werden. Dabei sind sie auch alle produktiv, jeder Begriff, jedes Konzept, jeder Ansatz bedingt bestimmte Folgen in der Wahrnehmung und Analyse. Es geht dabei nicht um richtig und falsch, wohl aber darum die Folgen einer bestimmten Wahl der Begriffe, Konzepte und Ansätze abzuschätzen. Wissenschaft bedeutet damit immer auch eine politische Positionierung und verlangt einen verantwortungsvollen Umgang mit der Subjektivität durch die ForscherIn. (siehe hierzu Heft und Goel 2006)

Vor dem Hintergrund der kritischen Weißseinsforschung (Eggers et al 2005) ist auch generell eine stärkere explizite Positionierung der ForscherIn in ihren Arbeiten notwendig. Wenn am Anfang des Forschungsprojekts noch die Nähe der Projektmitarbeiterin zu ihrem Feld als mögliches Problem angesehen wurde, wurde später immer klarer, dass diese Nähe nicht ein Problem sondern nur eine andere Positionierung ist. Auch die ‚Weiße’ ForscherInnenposition ist keine neutrale, und muss immer positioniert werden.

Inhaltliche und methodische Abweichungen

Methodische Grundlage des Forschungsprojekts waren die Regeln der gegenstandsbegründeten Theoriebildung nach Glaser und Strauss. Die im Antrag formulierten Hypothesen waren Teil des Vorverständnisses, das im Laufe des Projekts kritisch reflektiert und weiter entwickelt werden sollte. Während am Anfang des Projektes der Schwerpunkt auf der Analyse des Spezifischen des Internets lag, ergab sich durch die Feldforschung und die theoretische Auseinandersetzung bald eine Verschiebung hin zu Fragen des Rassismus, der Ausgrenzung und der Entwicklung von eigenen Räumen. Der zwischenzeitlich angedachte Fokus auf Raumkonzepte erwies sich gerade im Verlauf des Workshops als nicht hilfreich und wurde daher wieder aufgegeben.

Wie bereits in der Beschreibung der wissenschaftlichen Ergebnisse dargestellt, wurde im Laufe des Projekts klar, dass das geplante methodische Vorgehen der Komplexität und Verwobenheit von virtuellen Räumen nicht gerecht werden würde. Daher wurde das Vorgehen grundlegend umgestellt. Anstatt vor allem das Vorgehen im virtuellen Raum als passive teilnehmende Beobachterin zu verfolgen, wurden vor allem Interviews geführt und auf dem Internetportal aktiv eingegriffen. Diese methodische Veränderung ging einher mit der theoretischen Erkenntnis, dass der Fokus auf das Spezifische des Internets dem Besonderen des Internetportals Indernet nicht gerecht werden würde. Daher wurde die Analyse von den Praktiken im virtuellen Raum zu den Funktionen des Raums und seiner Einbettung in andere Räume verschoben.

Die Vielfalt der MacherInnen und NutzerInnen des Indernets, ihrer Motivation der Nutzung und ihres Nutzungsverhaltens führten im Laufe der Zeit zu immer stärkeren Dekonstruktion von Kategorien und Zugehörigkeiten. Wurde im Antrag noch von Indern, Diaspora, der zweiten Generation, ethnischer Identität und dem Eigenen und dem Fremden gesprochen, so waren all diese Begriffe am Ende des Projekts nur noch in Anführungszeichen als Konstrukt markiert nutzbar. Die Interviews, die teilnehmende Beobachtung und die theoretische Auseinandersetzung stellten immer mehr den Erklärungsgehalt von Zuschreibungen wie ‚InderInnen’ in Frage. So wird das Indernet nicht als das ‚Eigene’ gestaltet, weil die ‚InderInnen der zweiten Generation’ in Deutschland ‚fremd’ sind, sondern weil sie dort ‚fremd’ gemacht werden und mit dieser Zuschreibung umgehen müssen. Anders als angenommen gibt es auf dem Indernet durchaus einige aktive ‚Weiße’ NutzerInnen, dies ändert allerdings nichts an der Imagination dieses Raums als einen eigenen, an dem ‚InderInnen der zweiten Generation’ als unter ‚Gleichen’ vorgestellt werden. Die Analyse entwickelte sich so hin zur Nutzung von Konzepten wie Hybridität (Homi Bhaba, Stuart Hall) und natio-ethno-kultureller (Mehrfach-)Zugehörigkeit (Mecheril 2003) sowie zur Verankerung in Rassismustheorien. Gegen Ende der Projektlaufzeit wurde auch immer deutlicher, dass der Aspekt Gender im Forschungsansatz fehlte. Fragen der Intersektionalität, der Verstrickung von verschiedenen sozialen Ungleichheiten, wurden mit in die Analyse aufgenommen.

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© Urmila Goel, www.urmila.de 2006