Desis in Deutschland / Ausgrenzung und Zugehörigkeit
Meine Fragestellung dabei ist, welche Bedeutungen Staatsbürgerschaft und Einbürgerung für das Gefühl der Zugehörigkeit bei MigrantInnen der ersten und zweiten Generation in Deutschland haben. Theoretisch basiert die Arbeit auf Jacobsens (1997) Darstellung von drei Formen der Abgrenzung nationaler Identität : der kulturellen, der „rassischen“ und der rechtlichen. Nach Jacobsen gehören kulturell jene zur nationalen Gemeinschaft, die ähnliche oder gleiche Werte, Einstellungen und Lebensstile teilen. Die „rassische“ Abgrenzung erfolgt vor allem über phänotypische Merkmale, über sie wird eine Zugehörigkeit zu einer, durch biologische Abstammung definierten, Nation imaginiert. Die Gewährung bzw. Verweigerung der Staatsbürgerschaft des Wohnlandes ist schließlich die wesentliche rechtliche Abgrenzung nationaler Identität. Diese Definitionen von Grenzen der nationalen Gemeinschaft erfolgen insbesondere von Seiten der Mehrheitsgesellschaft, die die Macht zur Ziehung und Durchsetzung von Grenzen hat. Nach dem Konzept transaktionaler Ethnizität von Jenkins (1994 und 1997), das auf den Theorien zur sozialen Identität basiert (vgl. Jenkins 1996), beeinflussen die Abgrenzungen durch die Mehrheitsgesellschaft die Selbstdefinition der so Ausgegrenzten. Dies wiederum hat in dem transaktionalen Prozess der Entwicklung sozialer bzw., in diesem Kontext enger definiert, ethnischer Identität Auswirkungen auf die Fremddefinition. Ausgrenzung und Ausgegrenztfühlen können dazu führen, dass man sich selber ausgrenzt und so noch mehr als fremd wahrgenommen wird. Eine andere mögliche Reaktion auf Ausgrenzung ist der Versuch der Assimilation, der Anpassung an die Mehrheit. Diese kann aber erst dann wirklich effektiv sein, wenn sie auf allen Ebenen der Abgrenzung vorgenommen werden kann. Das heißt nach Jacobsen, dass es nicht genügt, sich kulturell anzupassen, man muss sich auch rechtlich und „rassisch“ anpassen. „Rassisch“ ist dies kaum möglich, da die „rassische“ Zugehörigkeit vor allem durch phänotypische Merkmale definiert wird und ein „fremdes“ Aussehen Zugehörigkeit ausschließt. Rechtlich ist Anpassung nur möglich, wenn der Staat den notwendigen Rahmen hierfür schafft. Dieser Artikel diskutiert diese verschiedenen Ebenen von Abgrenzungen und die Barrieren, die diese bei der häufig als Assimilation verstandenen Integration für MigrantInnen darstellen.
Die Einschränkung auf die Analyse dreier Abgrenzungen ist eine Begrenzung von
Jacobsens Ansatz und auch dieses Artikels. Sie wird von mir deshalb bewusst
eingesetzt, weil ich die kulturelle und vor allem die „rassische“ sowie
rechtliche Abgrenzungen als die zentralen für die von mir untersuchte Gruppe der
„InderInnen“ in Deutschland betrachte. Die von mir Befragten sind alle
wirtschaftlich und sozial gut integriert, das heißt sie haben eine gute
Ausbildung, sprechen gut beziehungsweise muttersprachlich Deutsch und haben
anerkannte Berufe. Fragen von wirtschaftlicher Ausgrenzung spielen daher bei
ihnen eine untergeordnete Rolle. Auch Abgrenzungen aufgrund von Religion sind
nicht sehr entscheidend. „Indischer“ Hinduismus wird in Deutschland im
Wesentlichen im Privaten gelebt, es gibt kaum eine Infrastruktur oder
öffentliche Feste, und damit auch nur wenige Berührungspunkte mit der
Mehrheitsgesellschaft. Nur die Christen aus Kerala pflegen in größerem Stil ihre
eigenen Riten. Da sie aber einer christlichen Kirche angehören, ist eine gewisse
Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft gegeben (vgl. Fischer und Lakhota, in
diesem Band). Fragen des Geschlechts spielen insbesondere in der frühen
Gesetzgebung und hinsichtlich des Wehr- oder Zivildiensts eine Rolle. Der Fokus
meiner Analyse liegt daher wie Jacobsens auf Prozessen der Ab- und Ausgrenzung,
die durch das Behaupten von Fremdheit definiert sind, und auf deren Folgen.
Zu Staatsbürgerschaft gibt es umfangreiche Studien aus den verschiedensten
Disziplinen (Recht, Soziologie, Politologie, Philosophie, etc.) . Es gibt auch
einige ethnographische Studien. Neben Jacobsens (1997) Analyse von jungen
„Pakistanis“ in Großbritannien zum Beispiel Andall (2002) zu „Afro-Italienern“
der zweiten Generation in Milan oder Swiatkowski (2001) zu „Polen“ in
Deutschland. In diesem Artikel soll ergänzend sowohl die Sitution der ersten wie
der zweiten Generation von „InderInnen“ in Deutschland diskutiert werden. Der
Schwerpunkt liegt dabei auf der eigenen Verortung in Bezug auf
Staatsbürgerschaft, Einbürgerung und Fragen der Zugehörigkeit und Identität.
Dabei gehe ich davon aus, dass im Kontext von Migration neue hybride Identitäten
entstehen. Diese können nach Werbner (1997) organisch, das heißt unbewusst als
Prozess der Auseinandersetzung mit dem Anderen, entstehen oder aber bewusst als
politische Aussage konstruiert werden. Mecheril (1997: 177) hat für den
deutschen Kontext das Konzept der Anderen Deutschen geprägt. Er versteht
hierunter
„Menschen, die wesentliche Teile ihrer Sozialisation, in Deutschland absolviert haben, und die Erfahrung gemacht haben und machen, aufgrund sozialer oder physiognomischer Merkmale nicht dem fiktiven Idealtyp des oder der ‚Standard-Deutschen’ zu entsprechen, weil ihre Eltern oder nur ein Elternteil oder ihre Vorfahren als aus einem anderen Kulturkreis stammend betrachtet werden“. (1997: 177)
Das Konzept Andere Deutsche basiert darauf, dass aus den wahrgenommenen Differenzen zu Idealtypen neue Identitäten entstehen (müssen). Sowohl bei individuellen Entscheidungen zur Einbürgerung als auch bei der Formulierung von Gesetzen und Verordnungen hierzu spielen diese Idealtypen eine wesentliche Rolle. Andere Deutsche sind ein Produkt von Rassismen. Diskriminierungen sowie individuelle und institutionelle Rassismen beeinflussen entscheidend die Identitätsentwicklung von als fremd Angesehenen. Dabei nehmen sowohl die Mehrheitsgesellschaft wie die „Fremden“ die Rassismen häufig nicht als solche wahr beziehungsweise bezeichnen sie nicht als solche, da in Deutschland eine Auseinandersetzung mit Rassismus fast ausschließlich in Bezug auf den Nationalsozialismus erfolgt und für den gegenwärtigen Diskurs weitgehend tabuisiert ist (vgl. Terkessidis 2004: 115-121).
Obwohl das Konzept der Anderen Deutschen der folgenden Analyse zugrunde liegt, benutze ich zur Beschreibung andere Begriffe. Unter „InderInnen der ersten Generation“, verstehe ich all jene, die bewusst – dies kann sowohl gezwungen wie freiwillig erfolgen – migriert sind. Das heißt, sie haben ihr Herkunftsland Indien bewusst erlebt und sind durch dieses Erleben geprägt. Der Begriff „InderInnen“ bezieht sich auf diesen biographischen Bezug zu Indien. Relativ eindeutig kann „InderInnen“ für Menschen benutzt werden, die die indische Staatsbürgerschaft haben, da dies die rechtliche Definition des Begriffes ist. Der Begriff wird aber sowohl enger wie auch weiter verwendet, wenn sich Menschen selber als „InderIn“ bezeichnen oder von anderen als solche bezeichnet werden. Das gleiche gilt für den Begriff „Deutsche“. Unter „zweite Generation InderInnen“ verstehe ich jene, die nicht selber bewusst gewandert, im Wesentlichen außerhalb Indiens aufgewachsen sind und mindestens einen Elternteil haben, der aus Indien stammt. Dies schließt jene ein, die als Kleinkinder von deutschen Eltern adoptiert wurden. Diese Kategorie der zweiten Generation habe ich aus meiner Feldforschung abgeleitet, da sich an Orten der zweiten Generation in Deutschland genau diese Leute, so unterschiedlich sie auch sein mögen, treffen. Auf sie trifft die Definition der Anderen Deutschen zu (vgl. Choi und Illing, in diesem Band).
aus:
Ausgrenzung
und Zugehörigkeit - Zur Rolle von Staatsbürgerschaft und Einbürgerung
erschienen in: Christiane Brosius und Urmila Goel (2006, Hrsg.),
masala.de - Menschen aus Südasien in
Deutschland, Heidelberg:
Draupadi-Verlag, 123-160.