Desis in Deutschland / Ausgrenzung und Zugehörigkeit

EINBÜRGERUNG UND ENTWICKLUNGSPOLITIK

DAS EINBÜRGERUNGSVERFAHREN EINES INDISCHEN AKADEMIKERS

„Das Einbürgerungsverfahren habe ich angestrengt, weil die mir die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängern wollten. Und zweitens war ich an der Universität tätig. Um Karriere zu machen an der Universität, eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen, Professor zu werden, wäre die deutsche Staatsbürgerschaft nützlich oder nötig. Also es waren zwei Gründe warum ich das überhaupt angezettelt habe. Und natürlich wollte ich in Deutschland bleiben.“

So begründet der indische Akademiker Agarwal Ende 2003 seinen Einbürgerungsantrag von 1970. Das war das Jahr, in dem er seine Promotion abschloss, seine erste Anstellung außerhalb der Universität aufnahm und seine erste Tochter geboren wurde. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits zehn Jahre in Deutschland - viel länger als er anfangs geplant hatte. Eigentlich wollte Herr Agarwal nur promovieren und dann nach Indien zurückkehren. Da er aber erst noch das deutsche Diplom nachmachen musste, verlängerte sich sein Aufenthalt. Das Studium finanzierte er durch Jobben in den Semesterferien sowie durch Stipendien der Universität und des DAAD. Über den gesamten Zeitraum bekam er problemlos Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen. Als Herr Agarwal allerdings 1969 von einem Forschungsaufenthalt in Großbritannien zurückkehrte, musste er zur Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung eine Verpflichtung zur Ausreise nach abgeschlossener Promotion unterschreiben. Diese erzwungene Verpflichtung wurde nicht wirksam, da er noch im selben Jahr seine langjährige deutsche Freundin heiratete und damit das Aufenthaltsrecht erwarb. Das Paar hatte immer vorgehabt nach Indien zu gehen. Frau Agarwal führt dazu aus: „Aber er wollte immer zurück und ich wollte auch nach Indien. ... Ich hatte die Vorstellung, dass ich da auch was Positives leisten könnte.“ 1970 aber war klar, dass das Ehepaar in Deutschland bleiben würde und sie stellten daher den Einbürgerungsantrag für Herrn Agarwal. Während für ihn im Rückblick vor allem berufliche Gründe im Mittelpunkt standen, erhoffte sich seine Frau eher Sicherheit und Erleichterung im praktischen Leben. Insbesondere hatte sie ständig Angst vor einer Ausweisung ihres Mannes: „…man hat solche Sachen ständig gelesen: ‚Ausländer ist straffällig geworden, muss das Land verlassen’. Ich meine, dazu reichen Kleinigkeiten. Und dann schützt auch die Ehe und Familie nicht mehr. Zumindest hatte ich diese Idee.“

Für die Stadtverwaltung stellte aber gerade die dauerhafte Hinwendung Agarwals zu Deutschland ein Problem dar. Sie teilte ihm mit, dass die Einbürgerung von Studenten aus „Entwicklungsländern“ grundsätzlich dem Anliegen der deutschen Entwicklungspolitik widerspreche. Nicht nur seine beruflichen Interessen sondern auch die Interessen seiner deutschen Frau müssten dahinter zurücktreten, „da die Ehegatten von vornherein mit der Verlegung des ehelichen Wohnsitzes in das Heimatland des Ausländers rechnen mußten“(1970). Da zu dem Zeitpunkt die Einbürgerungsrichtlinien überarbeitet wurden, wurde der Antrag allerdings nicht abgelehnt, sondern zurückgestellt. Zwei Jahre später stimmte dann das zuständige Landesinnenministerium in Übereinstimmung mit den neuen Richtlinien der Einbürgerung unter der Bedingung, dass erhaltene Stipendien zurückgezahlt würden, zu. Diese Koppelung aber hielt Herr Agarwal für rechtswidrig und war daher nicht bereit auf diesen „Kuhhandel“ einzugehen. Da er mittlerweile keine Professur mehr anstrebte, konnte er es sich jetzt leisten für sein Recht zu kämpfen:

„...ich konnte nicht herleiten, dass diese Rückzahlungspflicht irgendwie zwingend ist. Da es mir ja nicht um irgendetwas ging, ich war in einem richtigen Beruf und mein Fortkommen war nicht von dieser Geschichte abhängig, sagte ich, na gut, verfechte deinen Standpunkt weiter.“

Es folgte eine jahrelange Auseinandersetzung zwischen ihm und der Stadtverwaltung, bei der beide Seiten auf ihren Standpunkt bestanden. Die Stadtverwaltung versuchte, ihn zum Rückzug seines Antrags zu bewegen. Er ließ sich aber nicht einschüchtern. 1976 schaltete Herr Agarwal einen befreundeten Rechtsanwalt ein, was zu einer schriftlichen Ablehnung des Antrags und damit der Öffnung des Rechtsweges führte. Der Prozess ging durch die Instanzen, die zuerst die Position der Stadtverwaltung stützten, bis dann 1979 das Bundesverwaltungsgericht Revision zuließ. Das Bundesinnenministerium erkannte nun die Bedeutung dieses Falls für andere ehemalige Studierende aus „Entwicklungsländern“ und argumentierte, dass es Einbürgerungen zustimmen und daher als Prozesspartei mit aufgenommen werden müsse. Dies entsprach dem geltenden Recht, nicht aber der Rechtspraxis zu diesem Zeitpunkt. Das Ministerium verweigerte dann eine außergerichtliche Einigung und bestand auf einem weiteren Gerichtsverfahren. Dieses wurde schließlich 1987 mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts beendet. Herr Agarwal musste nun ohne Rückzahlung der Stipendien eingebürgert werden. Hierbei spielten aber weniger die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe eine Rolle als sein, nach 27 Jahren, inzwischen verfestigter Aufenthalt in Deutschland sowie die fehlende Wahrscheinlichkeit, dass er nach Indien zurückkehren würde. Trotzdem war es ein Präzedenzfall, der Auswirkungen auf andere Fälle sowie auf die Entscheidung zur Einbürgerung bei anderen MigrantInnen und auf die Einbürgerungspraxis selbst hatte.

DIE INTERESSEN DER ENTWICKLUNGSHILFEPOLITIK

„Interessen der Entwicklungshilfepolitik, die bei der Einbürgerung auf Wunsch des Ausbildungshilfeempfängers zurückgestellt werden, würden doppelt belastet, wenn mit dem Vorteil der Nichtrückkehr noch der Vorteil einer besonderen Ausbildungshilfe aus öffentlichen Mitteln kumuliert würde“, begründete 1973 das Landeskultusministerium auf Agarwals Nachfrage die Forderung nach Rückzahlung der Stipendien. Die Interessen der Entwicklungshilfepolitik stehen die ganzen 17 Jahre des Verfahrens im Mittelpunkt der staatlichen Argumentation. Für die Verwaltung ist klar, dass das Studium eines Menschen aus einem „Entwicklungsland“ in Deutschland Entwicklungshilfe darstellt. Bezeichnend für die staatliche Argumentation ist, dass sie ausschließlich die allgemeinen Interessen des deutschen Staates berücksichtigt. Die tatsächlichen Anliegen des Entwicklungslandes sowie die Einzelinteressen des Antragsstellers und seiner deutschen Ehefrau werden jedoch nicht betrachtet. So schreibt die Stadtverwaltung 1978:

„Ob entwicklungspolitische Belange Indiens beeinträchtigt werden oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Auch ist es nicht Aufgabe der Einbürgerungsbehörden, in jedem Einzelfall die „zwischenstaatlichen Beziehungen“ konkret zu prüfen und durchzuführen.“

Herr Agarwal versuchte immer wieder nachzuweisen, dass Indien kein Interesse an seiner Rückkehr hatte, dass dort im Gegenteil viele hoch qualifizierte Akademiker arbeitslos seien. Nach Beendigung seines aktiven Berufslebens spricht er sich 2003 in dem Interview gegen die in der politischen Diskussion in Deutschland häufig vorgebrachten These des brain drain durch Migration aus und argumentiert, dass er sehr wohl aus Deutschland einen Beitrag zu Indiens Entwicklung, insbesondere durch die Organisation von Wissensaustausch, geleistet habe.

Seine Frau hingegen fand die Rückzahlungsforderung berechtigt: „Das war wahrscheinlich die allgemeine Stimmung. Man leistet doch Entwicklungshilfe, man bildet die Menschen aus, dass sie ihrem Land nutzen und das sind dann fehlgeleitete Gelder, das war ziemlich selbstverständlich.“ In den 1970ern teilte sie noch die Überzeugung, dass es eine „gute Tat von den Deutschen für das jeweilige Land und nicht für den Menschen“ war, wenn man Studierende aus „Entwicklungsländern“ nach Deutschland ließ. „Ich meine wir haben uns wahrscheinlich als die großen weißen Schlaumeier empfunden, die Entwicklungshilfe leisten und dann ist die Welt verbessert. Die Idee hatte ich auch.“ Inzwischen hat sie sich von dieser Sicht distanziert, sagt aber, dass dies ein langsamer Prozess des Lernens war. Auch die entwicklungspolitischen Institutionen in Deutschland änderten in diesem Zeitraum ihre Einstellung. Die Grundsätze der heutigen Entwicklungszusammenarbeit unterscheiden sich grundlegend von jenen der Entwicklungshilfe in den 1970ern. Aber auch schon damals haben nicht alle die Koppelung der Stipendienrückzahlung mit der Einbürgerung für richtig gehalten. So sprach sich der DAAD 1973 in einem Schreiben an das Entwicklungshilfeministerium gegen die Regelung aus und beklagte, dass er nicht konsultiert worden sei. Er bezweifelte sowohl die Rechtmäßigkeit wie auch die Sinnhaftigkeit der Koppelung.

Es ist bezeichnend für das ganze Verfahren und auch die Verabschiedung der Gesetze und Richtlinien, dass Institutionen wie der DAAD oder das zuständige Ministerium für Entwicklungspolitik nicht beteiligt wurden. Es waren fast ausschließlich Innenpolitiker, die sich zu Vertretern der Interessen der Entwicklungspolitik machten. Allerdings gelang es Herrn Agarwal auch nicht, von den betroffenen entwicklungspolitischen Stellen eine ihn unterstützende Aussage zu bekommen. Seine Anfrage an den DAAD wurde von diesem an das Auswärtige Amt weitergeleitet und von dort mit den selben Begrünungen wie von der Stadtverwaltung beantwortet. Interne Schreiben wie das vom DAAD an das Entwicklungshilfeministerium und mündliche Aussagen gegenüber Herrn Agarwal deuteten aber darauf hin, dass es bei der Rückforderung der Stipendien viel weniger um die Interessen der Entwicklungshilfepolitik ging als um den Wunsch, Menschen aus „Entwicklungsländern“ zu zeigen, dass sie in Deutschland nicht erwünscht sind und ihr Aufenthalt in Deutschland bereits ein großes Zugeständnis an sie ist. Aus den offiziellen Schreiben scheint immer wieder die Hoffnung durch, dass nicht-eingebürgerte ehemalige Studenten doch noch zurückkehren.

Ähnliches war auch 2000 bei der GreenCard-Debatte zu beobachten. VertreterInnen einer restriktiven Zuwanderungspolitik argumentierten bei dieser Gelegenheit wieder mit dem brain drain, der im Interesse der „Entwicklungsländer“ zu verhindern sei. Dabei gingen sie wie in Agarwals Verfahren nicht auf die spezifische Situation der Herkunftsländer und potentiellen MigrantInnen ein, sondern gaben vor, die Interessen der sogenannten „Entwicklungsländer“ von Deutschland aus pauschal vertreten zu können.

RECHTSSTAATLICHKEIT UND RECHTSAUSLEGUNG

Herr Agarwal war während des ganzen Verfahrens der Überzeugung, dass er im Recht sei, eine Rückzahlungsverpflichtung gegen geltendes Recht verstoße und seiner deutschen Ehefrau ein Familienleben in Deutschland nicht streitig zu machen sei. Die Koppelung von Einbürgerung und Rückzahlung war ihm „suspekt“. Er verstand sie als Zeichen dafür, dass der Stadtverwaltung eine rechtliche Basis für ihre Forderung fehlte. Hätte sie diese, „dann sollten sie halt einfach ablehnen“. Er informierte sich über die Gesetze, Richtlinien und Bundestagsdebatten zum Thema, nutzte hierfür Bibliotheken und Rat von Freunden, und war dadurch in seiner Haltung sehr sicher: „Im Grunde genommen habe ich mich jedes Mal, fast immer dem zuständigen Sachbearbeiter überlegen gefühlt, weil der zuständige Sachbearbeiter die Gesetzestexte nicht so intensiv gelesen hatte, wie ich“. Er war (und ist) so von der Rechtsstaatlichkeit und seiner Interpretation der Gesetze überzeugt, dass er davon abweichendes Verwaltungshandeln und auch die neuen Einbürgerungsrichtlinien als rechtswidrig einstufte und überzeugt war, dass letztendlich auch die Verwaltung seine Argumente akzeptieren musste und „einige davon, glaube ich, waren von der Aussichtslosigkeit der eigenen Sache überzeugt“. Diese Überzeugung und seine Sturheit ließen ihn 17 Jahre lang für sein Recht kämpfen. Schließlich gewann er das Verfahren auch genau aus diesen rechtsstaatlichen Gründen. Die Verwaltung aber ignorierte diese, insbesondere die Betrachtung des Einzelfalles, bis zuletzt und argumentierte beharrlich mit den abstrakten und allgemeinen Interessen Deutschlands.

Frau Agarwal war weniger davon überzeugt, dass sie das Verfahren gewinnen könnten. Sie beschreibt die Bedeutung des 17jährigen Verfahrens mit dem „Gefühl von Unsicherheit und Wut“. Unsicherheit, „weil man doch immer Angst hat, es geht etwas schief und es kommt eine Ausweisung oder sonst irgendwas. Und Wut, weil das nötig ist, dass man solche Sachen durchstehen muss. Dass es das nicht erleichtert gibt.“ Die Wut auf den Staat entfremdet sie auch von diesem. „Ja, dass ich dann das Empfinden hatte, dann ist dieses nicht so mein Staat. Also ich gehöre nicht voll dazu, er ist nicht das, was ich mir wünschen würde als Staat. Na ja, dass der Staat übermächtig und selbstherrlich ist, also der Behördenapparat, dass habe ich schon oft genug erfahren können.“ Auch bevor sie ihren späteren Ehemann kennen lernte, war sie als Kriegswaise immer wieder der Willkür der Staatsvertreter ausgesetzt gewesen. Rechte, von denen sie überzeugt war, dass sie ihr zustehen, wurden ihr ohne sie überzeugende Begründungen vorenthalten. Ihr Vertrauen in den Rechtsstaat und das Verhalten der Beamten war bereits getrübt und so überraschte sie auch der Umgang mit ihrem Ehemann nicht, akzeptieren konnte sie es trotzdem nicht. Auch ihr Mann sieht eine generelle Selbstherrlichkeit des Staates: „Ja, ich finde das sowieso in Deutschland, nicht nur in diesem Fall, dass die Behörden denken, dass die Bürger Bittsteller“ sind. Er sieht wiederholte Versuche seitens der Verwaltung, ihn einzuschüchtern und ihn zum Aufgeben zu bringen. In seinem Fall war dies nicht erfolgreich, da seine Lebensumstände und seine Persönlichkeit ihm zum einen eine lange Auseinandersetzung mit der Verwaltung ermöglichten und ihn zum anderen gerade zum Widerstand reizten. Entscheidend war, dass er nicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft angewiesen war. Er fühlte sich sicher in Deutschland, war sozial und ökonomisch abgesichert. Zudem konnte er sich das nötige Wissen über Gesetze und Verordnungen aneignen, hatte Unterstützung von Freunden, war absolut von seinem Recht überzeugt und kämpfte gerne um sein Recht. So konnte er sich erfolgreich der staatlichen Auslegung des Ermessensspielraums und der Macht der Institutionen widersetzen. Wären nicht all diese Faktoren zusammengekommen, hätte er den Sieg von Rechtsstaatlichkeit gegenüber der gängigen Rechtsauslegung wohl nicht erreichen können. So betont er heute, dass er durch das Verfahren nichts zu verlieren hatte. Wäre das anders gewesen, hätte er vielleicht anders gehandelt: „wenn das, sagen wir mal, hieße, da ist ein Lehrstuhl, den kriegst du, wenn du Deutscher bist bis dann und dann, dann hätte ich mich wahrscheinlich, vielleicht doch breitschlagen lassen.“

DISKRIMINIERUNG UND RASSISMUS

Die Ausführungen zur Entwicklungshilfe haben gezeigt, dass in den 1970er Jahren aber auch noch danach ein abwertendes Bild des Fremden, insbesondere von Menschen aus so genannten „Entwicklungsländern“ in Deutschland vorherrschte. Deutschland und die Deutschen wurde implizit von der Mehrheit in Deutschland als etwas Besseres angesehen, weshalb auch argumentiert wurde, dass schon der alleinige Aufenthalt in Deutschland für Studierende ein Vorteil sei. Diese Überzeugung war handlungsweisend und selbstverständlich, nicht nur in Bezug auf die Entwicklungshilfe sondern auch für die Ausländerpolitik. In den schriftlichen Ausführungen der Stadtverwaltung an Herrn Agarwal lassen sich immer wieder diskriminierende Aussagen finden. In seiner Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Stadt im Jahr 1977 weist Agarwals Rechtsanwalt einmal explizit darauf hin: „Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid sind darüber hinaus in wesentlichen Punkten diskriminierend, widersprüchlich und zum Teil unverständlich.“ Er bezieht sich hierbei insbesondere auf folgenden Passus aus dem Widerspruchsbescheid:

„Erhebliche Belange sind bei ihm deshalb gegeben, weil er für sein Studium 6 Jahre lang und für seine Weiterbildung 2 Jahre lang Ausbildungsplätze blockiert hat, ohne sein „ausdrücklich und verbindlich gegebenes Versprechen“ zur Rückkehr in die Heimat eingelöst zu haben.“

Agarwals Rechtsanwalt führt aus, dass die Wortwahl Herrn Agarawal unterstelle, er habe sich unrechtmäßig einen Vorteil zum Nachteil von deutschen Studierenden erschlichen. Dabei werde nicht erwähnt, dass ihm 1960 bereitwillig und ohne Auflagen ein Studienplatz gegeben wurde und dass das erwähnte Versprechen erst 1969 am Ende seiner Ausbildung und unter Zwang gegeben wurde.

In dem Interview Ende 2003 betont Herr Agarwal, dass er bei den beteiligten Personen kein diskriminierendes Verhalten sieht: „Nein, das kann ich nicht den einzelnen Beamten zuschreiben. ... Sie haben einfach ihren Dienst getan, ob die anti-Ausländer eingestellt sind oder nicht, das kann ich nicht sagen. ... Der große Teil der Beamten war sehr freundlich.“ Die einzelnen Verwaltungsangestellten sind für Herrn Agarwal nur Teil einer „Maschinerie“, die ihre Aufgaben unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung erfüllen müssen. Im gesamten Interview klagt er an keiner Stelle ausländerfeindliches Verhalten an. Im Gegensatz dazu formuliert seine Frau eine ganze Reihe von Diskriminierungen und Rassismen, die sie alltäglich erlebt hat und die ihr Verhältnis zum deutschen Staat negativ geprägt haben: „Ja, jeder Ausländer, zumindest jeder der so nach Entwicklungsland aussah, war irgendwie minderbemittelt, geistig minderbemittelt oder was weiß ich, hat man mit Du angesprochen, in gebrochenem Deutsch und keine vernünftige Auskünfte gegeben, so muffelig.“ Um dies zu vermeiden hat sie viele Erledigungen für ihren Mann übernommen, zum Beispiel Pakete zur Post gebracht. Im Einbürgerungsverfahren selbst sah sie aber auch keinen offenen Rassismus: „Nein. Also soweit ich dabei war, habe ich das nicht gemerkt. Es war unterschwellig wahrscheinlich. Aber nie offen.“ Präsent war Rassismus vielmehr dadurch, „dass man immer wieder darauf hingewiesen hat, das ist ein Entwicklungsland und da ist alles anders als bei anderen Staatsangehörigen.“ Ähnlich wie im Fall der Entwicklungshilfe verweist sie auch hier darauf, dass diese Haltung normal war: „Ja, das war nicht bewusst. Das war selbstverständliche Überlegenheit. Überlegenheit der weißen Rasse und der deutschen insbesondere. Aber das geht auch noch bis heute durch.“ Es war so normal, dass auch die Betroffenen es häufig nicht merkten und in Frage stellten, wie sie bei einer anderen Gelegenheit bemerkt hat. Sie erzählt von einem gemeinsamen Behördengang mit einer Freundin: „(D)ie Frau Misra war vor mir am Schalter und der Beamte sagte - irgendwas war bei den Papieren nicht komplett, eine Unterschrift erforderlich oder so -, da sagte er: ‚Bringen sie ihren Scheich doch mit’. Ich habe sie nachher angesprochen, warum sie darauf nicht reagiert hat. Sie sagte mir, das hat sie gar nicht gehört. Das hat sie gar nicht zur Kenntnis genommen. Also das war so normale Sprechweise, dass man das schon gar nicht mehr gehört hat. Und mich hat das eben sehr aufgeregt, dass er eine solche Sprechweise hat.“

Herr Agarwal erinnert sich an einen Fall, bei dem er versucht habe, die Unsinnigkeit der Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, zu belegen: „Da war auch in meinem Fall ein Sachbearbeiter, der hieß Wessolowski, und als die Argumentation hitzig wurde, habe ich ihm gesagt, Wessolowski ist auch kein rein deutscher Name und damit war der, möchte ich sagen, mit Recht beleidigt und hat sich zurückgezogen.“ Auch in diesem Fall unterstellt er dem Sachbearbeiter keine Ausländerfeindlichkeit: „ich weiß jetzt nicht, ob er von sich aus überzeugt gegen die Einbürgerung von Ausländern war oder auch einfach nur Anweisungen von oben befolgt hat.“ Auch wenn Herr Agarwal den beteiligten Personen keinen individuellen Rassismus vorwirft, so sieht er das staatliche Handeln als Gesamtes durch das politische Interesse, Zuwanderung zu verhindern, gekennzeichnet: „... das sieht so aus, dass die Bundesrepublik eben nicht interessiert war, dass die Leute sich hier für die Dauer niederlassen. Obwohl, das ist in sich auch schon widersprüchlich, weil die Aufenthaltserlaubnis können sie jemanden, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist und Kinder hat, aus grundgesetzlichen Gründen gar nicht verweigern“. Der Staat ist bereit, die Rechte von deutschen Frauen einzuschränken, um zu verhindern, dass Menschen aus „Entwicklungsländern“ sich dauerhaft in Deutschland niederlassen. Zugrunde liegt dieser Ansicht laut Agarwal die „alte deutsche Geschichte, die wollen keine Einwanderung ... Deutschland ist kein Einwanderungsland und an diesem Mythos wollen sie festhalten“.
Dieser Mythos, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist, spiegelt sich in Recht, Verordnungen und Handeln wider. Er war allgemeines handlungsweisendes Gedankengut und nicht die Einstellung von wenigen. Wohl weil diese Einstellung und der darin enthaltene Rassismus so normal war, werfen die Agarwals den einzelnen Beteiligten auch heute noch weder offene Diskriminierung noch Rassismus vor. Sie klagen aber implizit institutionellen Rassismus an, der sich in der systematischen Diskriminierung von Menschen aus „Entwicklungsländern“ und deren Familien äußert.

BEDEUTUNGEN VON STAATSBÜRGERSCHAFT UND EINBÜRGERUNG

Herr Agarwal stellte aus ganz praktischen Gründen den Antrag auf Einbürgerung. Es war nicht sein Ziel, dadurch „Deutscher“ zu werden. Die Entscheidung war viel eher eine Folge daraus, dass er seine Zukunft in Deutschland sah und sich dem Land zugehörig fühlte. Als er schließlich eingebürgert wurde, änderte dies nichts an seinem Verhältnis zu Deutschland.

Frage: „Also, Du bist dadurch nicht Deutscher geworden, oder?“
Herr Agarwal: „Nein, nicht deutscher als früher.“
Frage: „Inwieweit bist Du denn Deutscher?“
Herr Agarwal: „Ich interessiere mich für Deutschland. Ich glaube, ich rege mich über deutsche Politik genauso auf wie die Deutschen, die hier geboren sind oder ich verfolge die kritisch. Mehr weiß ich nicht, was man sonst noch Deutscher sein soll.“


Die Transkription dieser Passage war alles andere als eindeutig. Meine Frage zielte darauf ab, ob Herr Agarwal durch die Einbürgerung ein „Deutscher“ wurde. Seine Antwort verstehe ich aber so, dass er eine Steigerung von „deutsch“ („deutscher“ also „mehr deutsch“) benutzt. Die von mir unterstellte Annahme, dass er vor der Einbürgerung kein „Deutscher“ war, scheint für Herrn Agarwal so fremd, dass er sie gar nicht hört, sondern darauf antwortet, ob er durch den Akt „deutscher“ geworden sei. Sein Deutsch-Sein scheint also für Herrn Agarwal nichts mit der Staatsbürgerschaft zu tun zu haben. Er war es auch schon vor der Einbürgerung, weil ihm das, was in Deutschland passiert, wichtig ist. Er hat eine enge emotionale Bindung zu Deutschland.
Auch Frau Agarwal hatte nicht das Gefühl, dass ihr Mann durch die Einbürgerung „deutsch“ wurde. Im Gegenteil befürchtete sie, dass er, unabhängig von dem was er tut, fühlt und welchen rechtlichen Status er hat, gar nicht in die Gemeinschaft der „Deutschen“ aufgenommen würde: „Aber es ändert ja nichts an seiner Herkunft, an seiner Hautfarbe und das er ein Fremder bleibt. Er wird mit der Einbürgerung ja nicht akzeptiert. Nicht mehr als vorher.“ Für sie blieb die Einbürgerung daher ein rein pragmatischer Akt, der ihr mehr Sicherheit, insbesondere vor Ausweisung, und eine Erleichterung im Leben, etwa bei gemeinsamen Reisen ins Ausland, gab.

Beiden war aber auch klar, dass die neue deutsche Staatsbürgerschaft zwar nicht identitätsstiftend, der Verzicht auf die indische hingegen emotional schwierig sein würde. Herr Agarwal meint dazu: „Ach, das ist ein Teil der Identität, die man verliert.“ Indien sei seine Vergangenheit: „ich habe ja meine Kindheit und meine Bezugspersonen in Indien. Das heißt auch meine kulturelle Beziehung ist in Indien.“ Als er den indischen Pass abgeben musste, war das „kein gutes Gefühl. Das habe ich nicht gerne gemacht.“ Am Anfang sei es ein „schon etwas komisches Gefühl“ gewesen, ein indisches Visum zu beantragen, aber jetzt habe er sich daran gewöhnt. Er erfuhr, dass seine engen Verbindungen zu seinen Verwandten in Indien durch diesen Statuswechsel nicht verändert wurden.
Der Staat teilt den pragmatischen Ansatz der Agarwals bei der Einbürgerung nicht. Die Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft ist für seine VertreterInnen etwas ganz Besonderes, ein Ausnahmefall, der nur unter besonderen Bedingungen gewährt werden kann. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat in der offiziellen Sicht in erster Linie etwas mit Identität, mit der Zugehörigkeit zum „deutschen Volk“ und weniger mit Rechten zu tun. Hier trifft sich die staatliche Vorstellung zur deutschen Staatsbürgerschaft mit Herrn Agarwals Gefühlen gegenüber seiner indischen, bevor er sie verloren hat. Der Bundesstaatsanwalt stellt dementsprechend 1980 fest, dass die „Einbürgerung ... eine dauernde Hinwendung zu Deutschland manifest werden lässt“. Auch heute noch dominiert in der politischen Diskussion die Einstellung, dass die Einbürgerung erst am Ende der Integration, meist als Assimilation verstanden, einer „AusländerIn“ stehen kann.

Wenngleich die Vorraussetzung für die Einbürgerung ein individuelles Bekenntnis zu „Deutschland“ sein muss, so kann sie dennoch nicht auf der individuellen Ebene entschieden werden. Maßgebend ist dabei das staatliche Interesse. Wie die Stadtverwaltung 1978 darlegt: „kommt eine Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit in der Regel nur dann in Betracht, wenn ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung besteht. Hierunter fallen besonders die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkte.“ Da die staatlichen Interessen Vorrang haben, gibt das Gesetz der Verwaltung einen weiten Ermessensspielraum, den sie auch möglichst ausnutzen soll. Dies wird im Widerspruchsbescheid 1977 dargelegt: „Als eine Sonderregelung der Einbürgerung, wie sich also §9 RuStAG darstellt, ist sie elastisch und ermöglicht vor allem eine Berücksichtigung des deutschen Staatsinteresses, das letzten Endes oberste Richtschnur bei der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit sein soll.“

In der Argumentation des Staates ist eine dauerhafte Niederlassung eines Ausländers nicht im Interesse Deutschlands. Daher will die Verwaltung das Sesshaftwerden Herrn Agarwals verhindern. Da sie ihm aber aufgrund des Schutzes der Familie die Aufenthaltsgenehmigung nicht verweigern kann, will sie zumindest seine Einbürgerung verhindern. Der Bundesstaatsanwalt argumentiert 1980: „Erst mit der Einbürgerung ... steht fest, daß der Antragsteller endgültig nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren wird.“ Das Bundesverwaltungsgericht folgt dieser Argumentation in seinem Urteil 1987 nicht. Es sieht den Grund für die fehlende Rückkehr nicht in der Einbürgerung: „Sollten die Mittel zu entwicklungspolitischen Zwecken gewährt worden sein, beruhe die Zweckverfehlung in erster Linie auf der Gewährleistung des Daueraufenthalts und nicht auf der Einbürgerung.“ Daraus folgt, dass die Interessen des Staates, falls sie durch ein Verbleiben in Deutschland beeinträchtigt würden, nicht durch die Verweigerung der Einbürgerung gewahrt werden.
Auch Herr Agarwal sieht diesen Widerspruch in der Argumentation: „das ging dann nur um den Status, ob man Deutscher wird oder nicht, ob man wählen darf oder nicht. Es ging nachher um gar nichts anderes, weil das war für mich schon klar, die Aufenthaltserlaubnis konnten sie gar nicht verweigern und das ging nur darum, ob man jetzt ein deutscher Staatsbürger werden kann oder nicht.“ Er versteht das Handeln des Staates so, dass dieser ihn nicht in Deutschland haben möchte und da die Verwaltung das nicht erreichen kann, ihn zumindest von Bürgerrechten ausschließen will, obwohl er schon lange Teil der deutschen Gesellschaft ist. Vielleicht ist es diese Erkenntnis, warum er nach Aussagen seiner Frau „ bei dem ganzen Verfahren eigentlich bis zu letzt gesagt hat, ‚ich weiß gar nicht, ob ich Deutscher werden will’.“

Die staatliche Sicht der Bedeutung der Einbürgerung kann vielleicht aus einer Aussage von Frau Agarwal, die Jahrgang 1940 ist, besser verstanden werden: „Ja, also ich habe das auch schon immer als besondere Auszeichnung empfunden, Deutsche zu sein. Also, das war durchaus noch das nationalsozialistische Gedankengut, das da bei mir sehr fest sitzt.“ Sie spricht für sich das aus, was auch zwischen den Zeilen der staatlichen Begründungen zu lesen ist, was auch schon bei der Einstellung zur Entwicklungshilfe eine Rolle gespielt hat. Deutschsein war in den 1970ern etwas Besonderes, etwas Herausragendes, etwas das man nicht einfach erwerben konnte. Nicht zuletzt durch ihre Ehe mit einem „Ausländer“ hat Frau Agarwal ihre Sicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft geändert: „Na ja, ich habe mich inzwischen auch selber weiterentwickelt. Ich habe inzwischen auch selber gesehen, dass Deutschsein nicht so was besonderes ist.“ Sie glaubt, dass ihr Mann und ihre Kinder nie wirklich Deutsche werden können. Für diese könne die deutsche Staatsbürgerschaft nie die gleiche Bedeutung erlangen, die sie für Frau Agarwal hatte, da ihr Mann und ihre Kinder allein schon durch ihr Aussehen immer fremd bleiben werden. Frau Agarwal selbst bleibt zwar Deutsche, aber die Auszeichnung, die sie damit einmal verbunden hat, empfindet sie heute nicht mehr. Nationalismus stört sie inzwischen sehr. Sie beobachtet seine in ihren Augen selbstherrliche Version jetzt bei einigen indischen Studierenden, die neu nach Deutschland kommen und hält auch diese „für ein Unreifezeichen.“

aus: Ausgrenzung und Zugehörigkeit - Zur Rolle von Staatsbürgerschaft und Einbürgerung
erschienen in: Christiane Brosius und Urmila Goel (2006, Hrsg.), masala.de - Menschen aus Südasien in Deutschland, Heidelberg: Draupadi-Verlag, 123-160.

Inhaltsverzeichnis

  1. Abgrenzungen nationaler Identität
  2. Einbürgerung und Entwicklungspolitik
  3. Andere Deutsche, Staatsbürgerschaft und Einbürgerung
  4. Ausgrenzung und Zugehörigkeit
  5. Literatur

Siehe auch:

 

© Urmila Goel, urmila.de / Desis in Deutschland/ Recht / Ausgrenzung 2006